Ubaldo Gandolfi
Christus unter dem Kreuz zusammenbrechend, um 1765/70
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Ubaldo Gandolfi

Christus unter dem Kreuz zusammenbrechend, um 1765/70

Ubaldo Gandolfi

Christus unter dem Kreuz zusammenbrechend, um 1765/70

Das Blatt gehört zu einer Serie von Zeichnungen mit Kreuzwegstationen. Sämtliche Blätter – u. a. in Stuttgart und Wien – sind in ähnlich vehementer, virtuoser Feder- und Laviertechnik ausgeführt.(Anm. 1) Dies trifft besonders auf die Stuttgarter Kreuzabnahme zu, die vor allem eine dem Hamburger Blatt vergleichbare kon­trastreiche Licht-Schattenführung aufweist.(Anm. 2) Fast alle Zeichnungen stimmen in der Größe mit dem Hamburger Blatt überein, wobei dieses als einziges querformatig ist.
Die Zuweisung der Blätter an die Familie Gandolfi ist in der Forschung unumstritten. Schwierig ist dagegen eine konkrete Zuordnung an Gaetano, Ubaldo oder Mauro Gandolfi. Diese Problematik spiegelt sich auch in der Zuschreibungsgeschichte des Blattes wider, das als anonyme italienische Zeichnung in die Sammlung gelangte. Dwight C. Miller und John Gere plädierten mit Sicherheit, Anna Forlani Tempesti mit Vorbehalt für Gaetano Gandolfi als Urheber. Dagegen stand bislang die Ansicht von Janos Scholz, der Ubaldo als Zeichner zumindest in Erwägung ziehen wollte.(Anm. 3)
Die Schwierigkeit einer exakten Benennung der jeweiligen Zeichner besteht nicht zuletzt darin, dass Ubaldo und Mauro sehr ähnliche formale Lösungen für identische Themen fanden oder dass sie in der Familie gebräuchliche Kompositionen anwandten. So finden sich die Figuren des schlagenden Soldaten und des am Boden liegenden Christus auch auf anderen, jeweils Ubaldo bzw. Mauro zugeschriebenen Zeichnungen.(Anm. 4) Trotz dieser grundsätzlichen Problematik soll das Hamburger Blatt hier Ubaldo zugeschrieben werden, da es in der kraftvollen, Licht und Schatten auslotenden Zeichenweise deutliche Übereinstimmung mit Ubaldo zugewiesenen Blättern aufweist.(Anm. 5) Hinzu kommen gut vergleichbare Details wie die Behandlung der Wadenmuskeln oder die Verwendung einzelner Gesichtstypen.(Anm. 6) Die gesamte Folge der Kreuzwegszenen kann aus stilistischen und technischen Gründen auf 1765/70 angesetzt werden.(Anm. 7) Eine etwas verkleinerte, sehr ähnlich gezeichnete und lavierte Wiederholung des Blattes wurde im Frühjahr 2006 als Werk Ubaldo Gandolfis im Kunsthandel angeboten.(Anm. 8)

David Klemm

1 Stuttgart Staatsgalerie, Graphische Sammlung, Sammlung Fachsenfeld, Inv.-Nr. III 2594; Sammlung Schloß Fachsenfeld. Zeichnungen, Bozzetti und Aquarelle aus fünf Jahrhunderten in Verwahrung der Staatsgalerie Stuttgart, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1978, S. 128–129, Nr. 58; Wien, Albertina, Grafische Sammlung. Inv.-Nr. 2964; vgl. Veronika Birke, Janine Kertész: Die italienischen Zeichnungen der Albertina. Generalverzeichnis, Bd. III (Inv. 2401-14325), Veröffentlichungen der Albertina Bd. 35, Wien, Köln, Weimar 1995, S. 1648–1649, mit Angabe zweier Kopien in Providence und Lille.
2 Vgl. Sammlung Schloß Fachsenfeld. Zeichnungen, Bozzetti und Aquarelle aus fünf Jahrhunderten in Verwahrung der Staatsgalerie Stuttgart, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1978, S. 128–129, Nr. 58.
3 Notiz auf der Karteikarte im Archiv des Kupferstichkabinetts.
4 Privatbesitz Paris, Abb. in Cazort 1995, S. 145, Abb. 1; Mauro: „Geißelung Christi“, Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 4447 S.
5 Vgl. Privatbesitz Paris, Abb. in Mimi Cazort: Some early Drawings by Mauro Gandolfi, in: Master Drawings 33, 1995, Nr. 2, S. 144-151, S. 145, Abb. 1.
6 So ähnelt z. B. das Gesicht des hinter Christus unter dem Kreuz hervorschauenden Mannes dem Gesicht des zweiten Soldaten von rechts auf dem Pariser Blatt.
7 Vgl. Prisco Bagni: I Gandolfi. Affreschi Dipinti Bozzetti Disegni, Bologna 1992, S. 589–595.
8 Aukt.-Kat. Mailand, Sotheby’s, Libri Stampe e Disegni, 12. 6. 2006, S. 69, Nr. 90, mit Abb. Die sehr starke Verwendung der rotbräunlichen Lavierung verunklärt etwas die auf dem Hamburger Blatt erkennbare wirkungsvolle Hell-Dunkel-Akzentuierung.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso oben in der Mitte bezeichnet: "[Pfundzeichen] 1.50 p." (Technik?); oben rechts bezeichnet: "nein" (Bleistift); rechts unterhalb davon bezeichnet: "O" (Bleistift); in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1233); unten links bezeichnet: "I/I" (Bleistift); unten rechts nummeriert: "285" (blaue Kreide); unterhalb davon bezeichnet: "A 5724/51" (violetter Stift); unterhalb davon bezeichnet: "G 1152" (Bleistift)

Wasserzeichen / Kettenlinien

1954-104 !
WZ: Doppelkonturiges einfach übereinander gelegtes Band in ornamentaler Rahmung, darunter Buchstaben „PR“; nicht identifiziert.

Provenienz

Julius Kähler (1880-1949), Aumühle bei Hamburg (nicht bei Lugt); erworben 1954 von Toni Kähler, Aumühle bei Hamburg, aus Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.184-185, Nr.236

David Klemm: Von Leonardo bis Piranesi. Italienische Zeichnungen von 1450 bis 1800 aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner, David Klemm und Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Bremen 2008, S.196-197, Abb, S. 235, Nr.91

Die Campe'sche Historische Kunststiftung. Erwerbungen seit 1945, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle; Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Hamburg 1964, S.22, Nr.204

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.25, Nr.127