Stefano della Bella
Studienblatt mit vier aus Pferdeköpfe gestalteten Kartuschen, Grotesken und einem Männergesicht (um 180° gedreht),
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Stefano della Bella

Studienblatt mit vier aus Pferdeköpfe gestalteten Kartuschen, Grotesken und einem Männergesicht (um 180° gedreht),

Stefano della Bella

Studienblatt mit vier aus Pferdeköpfe gestalteten Kartuschen, Grotesken und einem Männergesicht (um 180° gedreht)

Das Studienblatt zeigt della Bellas spielerische Phantasie beim Entwerfen von Kartuschen und Ornamenten. Hier wird die Idee einer von Pferdeköpfen bekrönten Kartusche in fünf Varianten durchgespielt. Mal berühren sich die Köpfe der Tiere, mal überlagern sie sich, dann sind sie voneinander abgewandt dargestellt. Beeindruckend ist die zeichnerische Vehemenz, mit dem della Bella sich den Formen nähert. So sind z. B. die Pferdehälse aus Dutzenden von nebeneinander gesetzten Strichen gebildet. Diese ergeben gleichsam eine Art nervöses Zeichenbündel, das dem Blatt den Charakter einer prima idea verleiht. Della Bella hat aus dieser Gruppe die Lösung oben links weiterentwickelt. Eine Zeichnung in der Berliner Kunstbibliothek zeigt ebenfalls zwei einander zugewandte Pferdeköpfe in ähnlicher Haltung, doch ist die in Hamburg nur angedeutete Kartusche hier stärker ausgearbeitet.(Anm. 1) Sie zeigt einen Frauenkopf (Medusenhaupt ?) und weist im unteren Bereich eine Rüstung in der Art eines Tropaions auf.
Die nach den Hamburger und Berliner Zeichnungen ausgeführte seitenverkehrte Radierung „Ornament mit Rüstung und Pferdeköpfen“ (de Vesme/Massar 1010) zählt zu der zwölfteiligen Folge „ORNAMENTI O Grottesche (…)“ („Ornamente und Grotesken“, de Vesme/Massar 1003–1014).(Anm. 2) Graphiken zählen zu della Bellas ingeniösesten Erfindungen und übten eine weitreichende Wirkung bis ins 18. Jahrhundert hinein aus.(Anm. 3)
Die Folge wird im allgemeinen in della Bellas Spätzeit datiert; sie soll um 1653, also nach der Rückkehr aus Paris, entstanden sein.(Anm. 4) Die als Begründung angeführten stilistischen Übereinstimmungen reichen aber nicht aus, um auch für die Zeichnungen die späte Datierung zu rechtfertigen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass della Bella bereits während seiner späten Pariser Jahre derartige Motive entworfen hat.(Anm. 5) Hierfür spricht nicht zuletzt, dass sich die Skizze auf dem Verso der vorliegenden Zeichnung überzeugend auf die Mitte der 1640er Jahre datieren lässt (vgl. Inv.-Nr. 1967-81).

David Klemm

1 Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, HdZ 2404/72.
2 Alexandre de Vesme, Phyllis Dearborn Massar: Stefano della Bella. Catalogue Raisonné, Alexandre de Vesme with Introduction and Additions by Phyllis Dearborn Massar, 2 Bde., New York 1971, Bd. I, Nr. 1003-1014.
3 Stefano della Bella. Ein Meister der Barockradierung, mit Beiträgen von Jessica Mack-Andrick, Dorit Schäfer, Angela Vollmer, Ausst.-Kat. Kunsthalle Karlsruhe 2005, S. 197–201.
4 Vgl. zur Datierung vgl. Ausst.-Kat. Karlsruhe 2005, S. 201.
5 Ebenfalls in der Berliner Kunstbibliothek, HdZ 2404/85, befindet sich eine wohl für einen anderen Zweck gedachte Variante im Querformat mit Putto oben in der Mitte und gestrecktem Pferdekopf rechts.


Auf dem Verso:
Zwei bärtige Alte (links); eine sich umwndende weibliche Halbfigur und ein bärtiger Alter (Mitte); Skizze eines floralen Motivs; ein männlicher und ein weib­licher Kopf; um 180° gedreht: Kopf eines bärtigen Alten (links); rechts daneben ein Text des Künst-lers; bärtiger, auf eine Brüstung gelehnter Mann (technische Angaben siehe Inv.-Nr. 1967-84 Verso)

Seitengleiche Vorstudie zu einer Radierung (de Vesme/Massar 416) aus der Serie „Recueil de divers griffonements et preuues [sic] deau forte (…)“ (de Vesme/Massar 389–458), die 1646 erschienen ist.(Anm. 1) Der im Profil gezeigte Frauenkopf ist nahezu identisch angelegt. Interessanterweise probiert della Bella den frontal zum Betrachter blickenden bärtigen Männerkopf an zwei verschiedenen Positionen aus. Offensichtlich hatte della Bella ursprünglich eine größere Komposition geplant. Denkbar ist auch, dass es sich hier um die Nachzeichnung einer Vorlage – einer Antike oder aus dem Umkreis Polidoro da Caravaggios – handelt.
In diesen Zusammenhang gehört eine Zeichnung in Rom, die ebenfalls einen bärtigen Männerkopf in Kombination mit einer weiteren in einer Drehung befindlichen Figur zeigt. Diese Studie ist mit weniger Strichen und lockerer als das Hamburger Blatt angelegt.(Anm. 2)
Die anderen Kopfstudien lassen sich nicht konkret mit den Radierungen des „Recueil“ verbinden. Die im strengen Profil gezeigte Frau rechts erinnert in der Grundanlage an die Frauendarstellung auf de Vesme/Massar 422.(Anm. 3)
Bei der mit zarter Feder gezeichneten männlichen Figur rechts neben der Schrift deutet der Kopftypus auf den Hl. Joseph hin. Es könnte sich um eine Ideenskizze für eine Darstellung des Heiligen handeln, wie sie z. B. in veränderter Form auf de Vesme/Massar 18 zu erkennen ist.(Anm. 4) Dort ist als wesentlicher Unterschied die Brüstung fortgelassen.
Die Beschriftung ist eine der wenigen längeren Schriftpassagen auf della Bellas Zeichnungen. Sie hat inhaltlich keinen Bezug zu den dargestellten Figuren; vielleicht handelt es sich um eine Rezeptur.

David Klemm

1 Es gibt einen zweiten Zustand des Drucks der seitengleich zu der Zeichnung ist. Vgl. Stefano della Bella. Aggiornamento del Catalogue Raisonne di A. de Vesme e Ph. D. Massar, hrsg. v. Tiziano Ortolani, Mailand 1996, S. 60–61.
2 Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, Gabinetto Nazionale delle Stampe, Inv.-Nr. FC 126063; vgl. Disegni di Stefano della Bella 1610-1664 dalle collezioni del Gabinetto Nazionale delle Stampe, bearb. v. Maria Catelli Isola, Ausst.-Kat. Rom, Palazzo della Farnesina, Rom 1976, S. 35, Nr. 72.
3 Alexandre de Vesme, Phyllis Dearborn Massar: Stefano della Bella. Catalogue Raisonné, Alexandre de Vesme with Introduction and Additions by Phyllis Dearborn Massar, New York 1971, Bd. I, Nr. 422.
4 Ebd., Nr. 18.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso oben links von der Mitte eigenhändige Beschriftung [Rezeptur?]: "[Dar; gestrichen] far nel vero / con Buoncose credo. P[er] colla.me disse ò di cipresso / che sia una cosa ci entro o di noce. e colla con gomma / un poco di Sol e vacotti [?] di cilieg[e] o di gus.no [?] sulla minuo.ro [?] / in somma / un poco di aqqua [?] coltetto / colla lo corre e latte / [...] di Biadecco" (Feder in Braun)

Verso

Titel verso: Zwei bärtige Alte (links); eine sich umwendende weibliche Halbfigur und ein bärtiger Alter (Mitte); Skizze eines floralen Motivs; ein männlicher und ein weiblicher Kopf; um 180° gedreht: Kopf eines bärtigen Alten(links); rechts daneben ein Text des Künstl

Technik verso: Feder in Braun

Provenienz

Erworben 1967 aus Privatbesitz

Bibliographie

David Klemm: Von der Schönheit der Linie. Stefano della Bella als Zeichner, hrsg. von Andreas Stolzenburg und David Klemm, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2013, S.252-253, Abb., Nr.107

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Stefano della Bella. Katalog und Tafeln. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner und Andreas Stolzenburg, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Böhlau Verlag Köln u. a. 2009, S.51-52(verso), 81-82(recto), Nr.190(verso) und 289(recto), Abb.Farbtafel S.149(verso) + 191(recto)

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 13, Dr. Ernst Hauswedell & Co Verlag Hamburg 1968, S.174-175