Pieter Coecke van Aelst (I.)
Die Enthauptung des Apostels Paulus, 1549/50
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Pieter Coecke van Aelst (I.)

Die Enthauptung des Apostels Paulus, 1549/50

Pieter Coecke van Aelst (I.)

Die Enthauptung des Apostels Paulus, 1549/50

Die Zuschreibung des bei Marlier nicht erwähnten Blattes an Pieter Coecke van Aelst geht zurück auf Frits Lugt.(Anm.1) Die Zeichnung diente als Vorlage für eine Tapisserie aus einer neunteiligen Serie zu der Geschichte des Paulus.(Anm.2) Neben dem Hamburger Blatt sind sieben weitere Vorzeichnungen bekannt: Die „Steinigung des Stephanus“ in Darmstadt, die Londoner „Bekehrung Pauli“, „Paulus auf Malta“ in englischem Privatbesitz sowie die jeweils in zwei Exemplaren vorliegenden Entwürfe zu „Paulus vor den Frauen von Philippi“ in München bzw. Lausanner Privatbesitz und „Paulus vor Agrippa“ in Wien bzw. Lübeck.(Anm.3)
Anhand der unterschiedlich intensiven Ausarbeitung dieser Blätter lassen sich verschiedene Entwicklungsstufen unterscheiden. Der Darmstädter „Stephanus“ gilt als erste Ideenskizze, und auch die etwas ausführlicher gearbeiteten Blätter in Lübeck und englischem Privatbesitz werden als Erstentwürfe angesehen.(Anm.4) Bei den sorgfältiger gearbeiteten, plastisch modellierten Zeichnungen in Wien, München, London und Hamburg (untereinander annähernd maßgleich), wird es sich um kleine Patronen handeln, Vorstufen zu den großen Patronen bzw. Vorlagekartons. Da sich Coecke auch als „Patronenmaler“ spezialisiert hatte, konnte er hier auf die bei arbeitsteiligem Prozess übliche Rasterung verzichten.(Anm.5)
Für die „Enthauptung Pauli“ ist das Mittelstück des originalen Kartons erhalten. Es misst 342 x 384 mm und befindet sich im Rathaus von Brüssel. Einige Details weichen von der Hamburger Studie ab: Den jugendlichen Soldat im linken Mittelgrund ersetzt ein Älterer mit brutalerer Physiognomie; einer der beiden eine junge Frau abführenden Soldaten rechts der Mitte erhielt einen gehörnten Helm; die Enthaupteten im rechten Vordergrund wurden durch üppige Grünpflanzen ersetzt.
Die Datierung der Entwurfszeichnungen vor 1528 oder 1532 wurde von Bauer widerlegt.(Anm.6) Bauer und ebenso Judson (1986) und Bevers (1989) plädierten für eine Entstehung nach der Konstantinopel-Reise des Künstlers (um 1533/34).(Anm.7) Dafür sprechen auch kompositorische Verwandtschaften mit Coeckes 1533 datierten Holzschnitten der „Türkischen Sitten und Gebräuche“ (H. 4). Darüber hinaus tritt in der Bordürenornamentik der Teppiche noch nicht das um 1540 in den Niederlanden aufkommende Rollwerkornament auf.(Anm.8) Diese Argumente widerlegen zugleich den von Anzelewsky vorgetragenen späten Datierungsansatz um 1549/50, ausgehend von der Ableitung einzelner Motive von Dürers „Marter der zehntausend Heiligen“, die sich seit 1549 im Besitz Nicolas Perrenots in Brüssel befand.(Anm.9) Diese Parallelen – um so auffälliger, als sich die Darstellung der Kreuzigungs- und Marterszenen hier nicht unbedingt aus dem Bildthema ergibt – wären jedoch ebenso gut durch gemeinsame formale Quellen im Bereich der oberitalienischen Kunst zu erklären.(Anm.10)

Annemarie Stefes

1 Undatierte Karteinotiz im Archiv des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle.
2 Die Tapisserienfolge ist komplett erhalten in München, Residenzmuseum und Bayerisches Nationalmuseum.
3 Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv.-Nr. AE/376; London, Victoria & Albert Museum, Inv.-Nr. Dyce 190; englischer Privatbesitz; München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1927:79; Lausanne, Sammlung R. de Cérenville, vgl. John Oliver Hand, J. R. Judson, William W. Robinson, Martha Wolff: The Age of Brueghel. Netherlandish Drawings in the Sixteenth Century, Ausst.-Kat. Washington D.C., National Gallery of Art, New York, Pierpont Morgan Library, New Haven 1986, S. 115; die Fassungen zu „Paulus vor Agrippa“, befinden sich in Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 7851, und Lübeck, Museum für Kunst- und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, St. Annen Museum, Inv.-Nr. AB 380.
4 Ausst.-Kat. Halbturn 1981, S. 41; Georges Marlier: Pierre Coeck d'Alost, Brüssel 1966, S. 312 und 316; Rotraud Bauer: Tapisserien der Renaissance nach Entwürfen von Pieter Coecke van Aelst, Ausst.-Kat. Eisenstadt, Schloss Halbturn, Eisenstadt 1981, S. 51.
5 Vgl. Rotraud Bauer: Tapisserien der Renaissance nach Entwürfen von Pieter Coecke van Aelst, Ausst.-Kat. Eisenstadt, Schloss Halbturn, Eisenstadt 1981, S. 100 zu dem für Tapisserien üblichen Arbeitsprozess.
6 Für einen Ansatz um 1528 votierte Durian-Ress 1981, für eine Datierung um 1532 Sophie Schneebalg-Perelman: Richesses du Garde-Meuble parisien de Francois Ier. Inventaires inédits de 1542 et 1551, in: Gazette des Beaux-Arts 113, 1971, S. 253-304, S. 260 u. 270; vgl. Bauer in: Rotraud Bauer: Tapisserien der Renaissance nach Entwürfen von Pieter Coecke van Aelst, Ausst.-Kat. Eisenstadt, Schloss Halbturn, Eisenstadt 1981, S. 38.
7 John Oliver Hand, J. R. Judson, William W. Robinson, Martha Wolff: The Age of Brueghel. Netherlandish Drawings in the Sixteenth Century, Ausst.-Kat. Washington D.C., National Gallery of Art, New York, Pierpont Morgan Library, New Haven 1986, S. 115; Holm Bevers: Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat. München, Staatliche Graphische Sammlung, München 1989, S. 25; vgl. auch Kurt Steinbart: Pieter Coecke's Designs for Tapestries, 8, 1933/34, S. 34-36, S. 36 und Georges Marlier: Pierre Coeck d'Alost, Brüssel 1966, S. 309.
8 Rotraud Bauer: Tapisserien der Renaissance nach Entwürfen von Pieter Coecke van Aelst, Ausst.-Kat. Eisenstadt, Schloss Halbturn, Eisenstadt 1981, S. 38; Holm Bevers: Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat. München, Staatliche Graphische Sammlung, München 1989, S. 25.
9 Anzelewsky, in: Pieter Bruegel als Zeichner, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin 1975; dies betrifft Motive wie den Leichnam des Enthaupteten vorne links, den knienden Apostel und seinen Henker
10 Bevers, in: Holm Bevers: Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat. München, Staatliche Graphische Sammlung, München 1989, S. 25. So erinnert die Figur des Paulus im Gegensinn an den knienden Christus auf Mantegnas „Gethsemane“ in London, National Gallery, Inv.-Nr. NG 1417, und der Enthauptete vorne links wäre möglicherweise von dem schlafenden Jakobus abzuleiten.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

-
ca. 27-30 mm (v)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:04, fol. 140 als "Im Styl des Barent von Orley": "Die Marter der Zehntausend Heiligen, vor den Thoren einer großen Stadt dargestellt. Feder und Seppiazeichnung auf gelb gefärbtem Papier.. gehöht. 16.6.9.7 [in margine:] J. Laborch Emaux"; NH Ad: 02: 01, S. 235 als "D. Mster vom Krebse"); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Paredes, Cecilia: Brussels and Tapestry-Making. Weaving in and out of history, Brussels City Museum 2015, Abb.S. 28

Elizabeth Cleland: Grand Design. Pieter Coecke van Aelst and Renaissance Tapestry, hrsg. von Yale University Press, Ausst.-Kat. The Metropolitan Museum of Art, New York, New Haven and London 2014, S.170-175, Abb., Nr.42

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog I Van Aken-Murant, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.166-167, Nr.210

Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat. Staatliche Graphische Sammlung, München 1989, S.24, 25, Anm. 8

Sophie Schneebalg-Perelman: Les Chasses de Maximilien, Brüssel 1982, S.206, 309 Anm. 33

Gisela Bergsträsser: Niederländische Zeichnungen 16. Jahrhundert im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Kataloge des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Bd. 10, Darmstadt 1979, S.56

Pieter Bruegel als Zeichner, Ausst.-Kat. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Berlin 1975, Nr.147, Abb.42

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