Philipp Otto Runge
Philipp Otto Runge
Berefelt hatte die Szene als „Ehepaar mit Kind“ gedeutet (Anm. 1), doch hat Traeger unter Hinweis auf die Übernahme eines Frauentypus von Domenichino und des Typus des felsenschleudernden Polyphem aus Annibale Carraccis „Galleria Farnese“ das Geschehen als die Darstellung einer sich verteidigenden, antikischen Familie bezeichnet. Neben Carraccis Polyphem steht die Figur auch Berninis David nahe, dessen gespannte Haltung hier ebenfalls spiegelverkehrt übernommen ist, doch findet sich die Figur auch ähnlich in Domenichinos Gemälde „Die Steinigung des hl. Stephanus“ (Anm. 2). Der Typus der das Kind beschützenden Frau erscheint nahezu seitenverkehrt in Domenichinos Fresko „Das Martyrium des hl. Andreas“ von 1609 in San Gregorio Magno in Rom (Anm. 3), doch steht die Zeichnung in der plastischen Modellierung der Figuren Werken Pietro da Cortonas näher. Ob Runge dabei einer konkreten Vorlage folgte, muss offenbleiben, doch geht die Komposition eindeutig auf Motive des römischen Hochbarocks zurück. Möglich erscheint, dass Runge in Anlehnung an seinen Lehrer Hardorff verschiedene Motive zu einer neuen Komposition zusammengestellt hat. Das kompilatorische Verfahren Hardorffs und der stilistische Bezug zu Runges Kopien nach Carraccis Farnesefresken machen offensichtlich, das Berefelts Datierung des Blattes in das erste Dresdner Jahr sicher zu spät ist. In der plastischen Modellierung der Figuren steht das Blatt vielmehr der „Heiligen Familie mit Johannesknaben“ (vgl. Inv. Nr. 34245) nahe, weshalb das Blatt noch in Kopenhagen entstanden sein muss.
Peter Prange
1 Berefelt 1961, S. 208.
2 Die Steinigung des hl. Stephanus, Öl auf Kupfer, 55 x 40 cm, Chantilly, Musée Condé, Richard E. Spear: Domenichino, New Haven-London 1982, S. 144-145, Nr. 24, Abb. 40
3 Zum Fresko vgl. Spear 1982, S. 155-157, Nr. 33, Abb. 59.
Details zu diesem Werk
Beschriftung
Wasserzeichen / Kettenlinien
"Pro Patria"
Verso
Titel verso: Fragment einer geometrischen Konstruktion
Technik verso: Bleistift
Provenienz
Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; wohl als deren Geschenk an ihren Enkel Paul Runge (1835-1899), Berlin (Sohn des Otto Sigismund Runge (1806-1839); Philipp Otto Runge (1866-1925; Sohn des Vorigen), Berlin; Hans Runge (1900-?; Sohn des Vorigen), Berlin (bis 1938); erworben 1938 von C. G. Boerner, Leipzig
Bibliographie
Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.83, 273, Nr.94, Abb.
Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.208, Anm. 8
Deutsche Handzeichnungen der Romantikerzeit. Deutsche Graphik des frühen XIX. Jahrhunderts. Deutsche Zeichnungen der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, Auktion 199, 25. 5. 1938, C. G. Boerner, Leipzig 1938, S.15, Nr.133