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Meister von Oxford
Drehbarer Turmaufbau (Entwurf fĂŒr einen ephemeren Festapparat), um 1507-1513 (?)
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Meister von Oxford

Drehbarer Turmaufbau (Entwurf fĂŒr einen ephemeren Festapparat), um 1507-1513 (?)

Meister von Oxford

Drehbarer Turmaufbau (Entwurf fĂŒr einen ephemeren Festapparat), um 1507-1513 (?)

Das aus altem Bestand stammende, beidseitig bezeichnete Blatt wurde zunÀchst den anonymen Italienern des 16. Jahrhunderts zugeordnet. Das auf dem Recto erkennbare Gebilde eines drehbaren Aufbaus lÀsst sich hervorragend mit einer motivisch sehr Àhnlichen Zeichnung in Turin verbinden.(Anm.1) Auch dort wird ein offenbar drehbarer Turm von vier MÀnnergruppen in Bewegung gesetzt. Im Gegensatz zum Hamburger Blatt ist der Aufbau in Turin viergeschossig. Marzia Faietti verband diese beiden Zeichnungen mit einer Reihe von StudienblÀttern, die zum Teil nach Antiken angefertigt sind. Besonders prÀgnant ist die Darstellung eines Triumphwagens mit einem verkleinerten Nachbau des Pantheons in London.(Anm.2) All diese Zeichnungen lassen sich wiederum mit einem 63 Seiten umfassenden Skizzenbuch im Ashmolean Museum in Oxford verbinden.(Anm.3)
Die BlĂ€tter weisen einen phantasievollen Entwerfer aus, der vor allem in der Darstellung kleinformatiger Figurengruppen sicher und geschickt ist. So sind die auf dem Hamburger und Turiner Blatt erkennbaren Arbeiter nicht zuletzt dank effektvoller Lavierung mit großer Lebendigkeit wiedergegeben. Dagegen wirken die großformatigeren Figuren in ihrer zumeist etwas kontrollierteren, weitgehend auf Lavierung verzichtenden AusfĂŒhrung trockener. Unverkennbare SchwĂ€chen verrĂ€t der Zeichner in der Wiedergabe der Architekturen. So bereitet ihm die Darstellung der Perspektive offensichtlich einige Probleme. Auch sind die Aufbauten der Maschinen in Turin und Hamburg nicht exakt konstruiert und das VerhĂ€ltnis der Figuren zur Architektur und zu den Maschinen ist wenig ĂŒberzeugend gewĂ€hlt.
Bis heute ist es nicht gelungen, den Urheber dieses Konvoluts zu bestimmen. Weil sich in Oxford der grĂ¶ĂŸte Bestand befindet, erhielt er den Notnamen „Meister von Oxford“.(Anm.4) Sicher ist, dass er in unmittelbarer NĂ€he des in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in Rom tĂ€tigen Jacopo Ripanda tĂ€tig gewesen sein muss. HierfĂŒr sprechen eine Ă€hnliche Auffassung der Figurendarstellung und eine vergleichbare Zeichentechnik.(Anm.5) Schwer zu beurteilen ist, inwieweit die Darstellungen der drehbaren Maschinen bzw. der Wagen auf konkrete Ereignisse zurĂŒckzufĂŒhren sind. Philine Helas deutete sie als Wiedergabe ephemerer Festapparate. Dabei ist allerdings schwer vorstellbar, wie das auf dem Hamburger Blatt irritierende GrĂ¶ĂŸenverhĂ€ltnis zwischen den drehenden MĂ€nnern unten und den im Aufbau stehenden Figuren oben in der Praxis hĂ€tte aussehen können. Insgesamt erinnern die Gebilde stark an Goldschmiedearbeiten. Der Aufbau auf dem Hamburger Blatt lĂ€sst BezĂŒge zu Monstranzen erkennen.(Anm.6) Vielleicht liegen hier reizvolle Ideen fĂŒr TischgerĂ€te vor, die an den Höfen der Renaissance-Herrscher zur Unterhaltung dienten.
Das Verso des Hamburger Blattes zeigt mit der Darstellung von „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ ein völlig anderes Thema. Bereits Philip Pouncey hatte bei einem Besuch des Kabinetts erkannt, dass Recto und Verso von einer Hand stammen.(Anm.7) Diese stilistische EinschĂ€tzung erfĂ€hrt durch einen Vergleich mit den oben erwĂ€hnten BlĂ€ttern in Oxford BestĂ€tigung. So Ă€hnelt die Darstellung der Judith einer Frau neben dem Feldherrn auf fol. 35 und auch einer sitzenden Figur auf fol. 34. Ikonographisch ist die Gruppe unverkennbar von Mantegnas themengleichen Kompositionen, vor allem von der heute in Dublin bewahrten Fassung geprĂ€gt.(Anm.8) Übereinstimmend ist die Wahl des Augenblicks, in dem Judith den abgeschlagenen Kopf in den von der Dienerin aufgehaltenen Sack fallen lassen will. Die Feinheit der Darstellung Mantegnas ist aber in Hamburg einer deutlich gröberen Fassung gewichen. Ungewollt komisch wirkt dabei der in starrer Haltung halb aufgerichtet im Bett sitzende Holofernes.

David Klemm

1 Turin, Biblioteca Reale, Inv.-Nr. 15715; vgl. Aldo Bertini: I disegni italiani della Biblioteca Reale di Torino. Indici e cataloghi. I disegni delle Biblioteche Italiane I, Rom 1958, S. 62; Nr. 482, mit Abb.
2 London, Victoria & Albert Museum, Inv.-Nr. 2268; vgl. Peter Ward-Jackson: Victoria and Albert Museum Catalogues: Italian Drawings, Bd. 1: 15th-16th-century; Bd. 2: 17th -18th century, London 1979 , I, S. 123, Nr. 247;Marzia Faietti: Un disegno del Maestro di Oxford presso la Biblioteca Reale di Torino ed altri fogli ad esso correlati, in: Nuove ricerche in margine alla mostra: Da Leonardo a Rembrandt. Disegni della Biblioteca Reale di Torino, Atti del Convegno Internazionale di Studi, Turin, Vigna di Madama Reale, 24.-25. 10. 1990, hrsg. v. Gianni Carlo Sciolla, Turin 1990, S. 131-146, S. 134 und Abb. S. 145.
3 Karl Theodor Parker: Catalogue of the Collection of Drawings in the Ashmolean Museum, II, Italian Schools, Oxford 1956, II, S. 357–360; Parker 668. Die BlĂ€tter waren ehemals Peruzzi zugeschrieben.
4 Vgl. ausfĂŒhrlich Marzia Faietti: Un disegno del Maestro di Oxford presso la Biblioteca Reale di Torino ed altri fogli ad esso correlati, in: Nuove ricerche in margine alla mostra: Da Leonardo a Rembrandt. Disegni della Biblioteca Reale di Torino, Atti del Convegno Internazionale di Studi, Turin, Vigna di Madama Reale, 24.-25. 10. 1990, hrsg. v. Gianni Carlo Sciolla, Turin 1990, S. 131-146.
5 Vgl. z. B. „Triumph des Scipio Africanus“; Paris, MusĂ©e du Louvre, DĂ©partement des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 8257.
6 Vgl. den Bronze-Tabernakel im Museo di Capodimonte in Neapel, Inv.-Nr. 10509, von Jacobo del Duca. Hinweis aus der Corpus Gernsheim-Kartei im Archiv des Kupferstichkabinetts.
7 Karteinotiz im Archiv des Kupferstichkabinetts.
8 Ronald W. Lightbown: Mantegna, with a complete catalogue of the paintings, drawings and prints, Oxford 1986, S. 451, Nr. 56, Abb. 141; Marzia Faietti: Un disegno del Maestro di Oxford presso la Biblioteca Reale di Torino ed altri fogli ad esso correlati, in: Nuove ricerche in margine alla mostra: Da Leonardo a Rembrandt. Disegni della Biblioteca Reale di Torino, Atti del Convegno Internazionale di Studi, Turin, Vigna di Madama Reale, 24.-25. 10. 1990, hrsg. v. Gianni Carlo Sciolla, Turin 1990, S. 131-146, S. 141, Anm. 27.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Umfassungslinie (Feder in Schwarz); auf dem Verso unten rechts: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

WZ: Kreis, Inhalt nicht erkennbar.

Verso

Titel verso: Judith mit dem Haupt des Holofernes

Technik verso: Feder in Braun

Provenienz

Wahrscheinlich zwischen 1869 und 1886 durch Schenkung oder Erwerbung aus unbekannter Quelle in den Besitz der Kunsthalle gelangt

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.235, Nr.325

Philine Helas: Lebende Bilder in der italienischen Festkultur des 15. Jahrhunderts, Berlin 1999, S.116, Abb.44 auf S. 299

Eckhard Schaar, David Klemm: Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1997, S.97, Nr.35, Abb.30

Vincenzo Farinella: Archelologia e pittura a Roma tra Quattrocento e Cinquecento. Il caso di Jacopo Ripanda, Turin 1992, S.182, Abb.Nr. 119, 120

Marzia Faietti: Un disegno del Maestro di Oxford presso la Biblioteca Reale di Torino ed altri fogli ad esso correlati, in: Nuove ricerche in margine alla mostra: Da Leonardo a Rembrandt. Disegni della Biblioteca Reale di Torino, Atti del Convegno Internazionale di Studi, Turin, Vigna di Madama Reale, 24.-25. 10. 1990, hrsg. v. Gianni Carlo Sciolla, Turin 1990, S. 131-146, S.133, mit Anm. 26, Abb.10 (recto) und 11 (verso) auf S. 144

Marzia Faietti: Il Maestro di Oxford. Un nuovo disegno, in: grafica d’arte 1990, Nr. 3, S. 23-28, S.24-26, Abb.235, Nr. 3,4

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den BestÀnden des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.11, Nr.20