Giuseppe Galli Bibiena
Entwurf für das Bühnenbild des dritten Aktes der Oper "Costanza e Fortezza", um 1723
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Giuseppe Galli Bibiena

Entwurf für das Bühnenbild des dritten Aktes der Oper "Costanza e Fortezza", um 1723

Giuseppe Galli Bibiena

Entwurf für das Bühnenbild des dritten Aktes der Oper "Costanza e Fortezza", um 1723

Die Zeichnung gelangte 1962 unter der Zuschreibung an Giovanni Paolo Panini (1691–1765) in das Kabinett. Mit dessen Zeichenstil und Motivwahl kann sie jedoch keineswegs verbunden werden. Eindeutig lässt sich das Blatt dagegen Giuseppe Galli Bibiena zuweisen.
Giuseppe war Sohn von Ferdinando Galli Bibiena (1657–1743), der vor allem als Erfinder der scena ad angolo, d. h. der Bühnenbildprojektion über Eck mittels zweier Fluchtpunkte, Bedeutung erlangte.(Anm. 1) Giuseppe kam bereits in jungen Jahren nach Wien, wo Kaiser Karl VI. (reg. 1711–1740) damals ein ambitioniertes Kulturprogramm entfaltete. Als „Theateringenieur seiner kaiserlichen Majestät“ genoss Giuseppe Galli Bibiena am Hof hohes künstlerisches Ansehen. Er war verantwortlich für zahlreiche Bühnenbilder und Feste und entfaltete darüber hinaus ein reiches Schaffen als Freskant, Maler und Architekt.
Die bislang unbestimmte, großformatige Zeichnung entstand anlässlich eines der Prestigeprojekte der Regierungsszeit Karls VI. Sie stellt den Entwurf für den dritten Teil der Festoper „Costanza e Fortezza“ dar, die am 28. August 1723 auf dem Hradschin im Garten der Prager Burg aufgeführt worden ist.(Anm. 2) Dieses Ereignis bildete einen der Höhepunkte der Krönung Karls VI. zum König von Böhmen. Äußerster Prunk und technisches Raffinement bildeten den Rahmen für die Aufführung, die in einem eigens auf dem Hradschin errichteten Theater unter freiem Himmel stattfand.(Anm. 3)
Der Inhalt der Oper basiert auf einem von Titus Livius überlieferten Ereignis aus der Frühzeit der römischen Republik, dem vergeblichen Versuch des Etruskerkönigs Porsenna, Rom zu erobern. Die von Giuseppe Galli Bibiena entworfene phantasievolle Architektur- und Gartenlandschaft bildete die Kulisse für den dritten Akt der Oper, der in einem römischen Garten spielt.
Im Vordergrund sind Teile einer Grotte erkennbar. Plätschernde Brunnen, Wasserkaskaden und sich windende Trägerfiguren beleben die Szenerie. Von diesem Areal aus schaut der Betrachter über eine Terrasse hinweg in ein flaches Gartenparterre, in dem zahlreiche Balustraden mit Figuren sowie Kübelpflanzen und ein Brunnen aufgestellt sind. Elegant geschwungene steinerne Treppen leiten in einen höher gelegenen Gartenbereich über, in dem sich links und rechts je zwei offene Pavillons befinden, die wegen der zwiebelartigen Form ihrer Dächer orientalisch anmuten. Dahinter schließt sich in halbrunder Anordnung eine geöffnete Wandelhalle an. Sie umfasst einen in der Bildmitte platzierten vielgestaltigen Zentralbau. Um diese Architektur herum erheben sich zahlreiche Zypressen. Hinter diesem Komplex erstreckt sich ein relativ steil ansteigender Gartenbereich, der wiederum auf vielfältige Weise gestaltet ist. Dort entfaltet die französisch inspirierte Gartenkunst reiche Blüte: Genau zirkulierte und beschnittene Hecken und Alleen wechseln sich ab. Die gesamte Anlage gipfelt auf dem Kamm des Hügels in einer weit ausgedehnten schlossähnlichen Architektur. In der Mittelachse erhebt sich der Hauptbau, der von einem mit großen Öffnungen versehenen Turm bekrönt wird. Diese Form erinnert an das Kronentor des Dresdner Zwingers, was wohl den Anlass für die ansonsten nicht nachvollziehbare ursprüngliche Benennung des Blattes als „Entwurf für den Zwinger in Dresden“ gegeben haben mag.
Die Szenerie lässt sich jedoch aus zweierlei Gründen besser mit Wien verbinden: Zum einen zeigt sie Anklänge an die topographische Situation der beiden Belvedere-Schlösser und ihrer Gärten, zum anderen wirkt sie wie eine Reminiszenz an Fischer von Erlachs großartige Bauten und Pläne, u. a. für Schloss Schönbrunn. Mit diesen beiden Polen ist der Anspruch der eindrucksvollen Architekturphantasie umrissen. Ein derartiger Entwurf dürfte am Hofe Kaiser Karls VI. großen Anklang gefunden haben. Die Komposition ist zentralaxial aufgebaut und nicht in der von der Familie Bibiena für die Bühnenbilder entwickelten Schrägansicht.
Das Hamburger Blatt ist in allen architektonischen Belangen sehr akkurat und mit großer Sicherheit gezeichnet, Figuren und Pflanzen scheinen locker und doch präzise positioniert. Dass die schlossähnlichen Bauten auf dem Bergkamm in bläulicher Tinte gezeichnet sind, könnte auf eine spätere Ergänzung hindeuten
Der großartige ephemere Entwurf eines architektonischen Zauberreiches fand derart große Zustimmung, dass er wohl kurz nach den Festlichkeiten von 1723 von Jakob Wilhelm Heckenauer und Johann Jakob Lidl in einem Kupferstich verewigt wurde. Bei der Ausführung wurden nur wenige Details verändert. Ins Auge sticht vor allem das weniger anspruchsvolle Schloss auf dem Hügel, wodurch ein wichtiger Zielpunkt der Komposition abgeschwächt wurde.
Diese Veränderung wirft die Frage auf, inwieweit der Entwurf letztendlich umgesetzt wurde. Dembski-Riss wies darauf hin, dass derartige Ansichten ohne technische Angaben mit Vorsicht zu interpretieren sind.(Anm. 4) Unabhängig davon kann diese prachtvolle Architekturphantasie – wie Josef Gregor es tat – als eine der „größten Gestaltungen des epochalen Theaterkünstlers“ bezeichnet werden.(Anm. 5) Die Auflösung der Phantasiewelt in Kulissen und Prospekte dürfte – wie Gregor betonte – keine Schwierigkeit dargestellt haben.(Anm. 6) Die beiden Seitenkulissen dürften die Tiefe der Bühne vorgegeben haben; beim Beginn der zweistufigen Terrasse könnte bereits der Prospekt angesetzt worden sein. Eine noch eindrucksvollere Wirkung wäre – so Gregor – zu erzielen gewesen, wenn sich die plastische Dekoration noch über die zweiflügelige Mitteltreppe, mit dem Brunnen in der Mitte, hinausgezogen hätte.
Die Zuschreibung des Entwurfs an Giuseppe Galli Bibiena wäre auch ohne einen nachweisbaren Kupferstich möglich. Kompositionell gut vergleichbar ist u. a. ein Entwurf für dessen „Architettura e Prospettive“, die 1740 und 1744 in Wien erschienen ist. Dort findet sich auf dem Blatt 8 ein „Gartenprospekt“, der wie eine Variation des vorderen Bereichs des Hamburger Blattes wirkt.(Anm. 7) Gut vergleichbar sind u. a. die räumliche Anordnung, die zwiebelturmähnlichen Gebäude sowie die Figurendarstellung. Von Giuseppe Galli Bibiena lassen sich zudem mehrere akkurat und fein ausgearbeitete Blätter nachweisen (Anm.8), die ihn als hervorragenden Zeichner qualifizieren.
Das bislang unbeachtete Blatt ist ein bedeutendes Beispiel einer höfisch geprägten Architekturphantasie.(Anm. 9) Obwohl derartige Entwürfe die Zeitgenossen beeindruckten, stand die Zeit der „castelli in aria“ jedoch bereits kurz vor ihrem Ende.(Anm. 10)

David Klemm

1 Zu Galli Bibiena vgl. Galli Bibiena und der Musenhof der Wilhelmine von Bayreuth. Paradies des Rokoko II, hrsg. v. Peter O. Krückmann, Ausst.-Kat. Bayreuth, Neues Schloss, München, New York 1998, II, S. 119–120, 125; 263–267.
2 Für die Zuordnung des Blattes zur Oper von Fux ist Melissa Strumann, Hamburg, zu danken.
3 Ulrike Dembski-Riss: Bühnenarchitektur und Bühnendekoration in den Wiener Opernaufführungen zur Zeit von Johann Joseph Fux. Anmerkungen zu den Szenenbildern der Opern Angelica Vincitrice di Alcina und Costanza e Fortezza, in: Johann Joseph Fux und seine Zeit. Kultur, Kunst und Musik im Spätbarock, hrsg. v. Arnfried Edler und Friedrich W. Riedel, Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover, hrsg. v. Richard Jacoby, Bd. 7, Laaber 1996, S. 190.
4 Ebd.
5 Joseph Gregor: Wiener szenische Kunst. Die Theaterdekoration der letzten drei Jahrhunderte nach Stilprinzipien dargestellt, Wien 1924, S. 96.
6 Ebd.
7 Vgl. ArchitekturTHEORIE. Von der Renaissance bis zur Gegenwart, Köln, London, Los Angeles u. a. 2003, S. 162, Abb. 6.
8 Vgl. z. B. Wien, Albertina, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. 14399, 14401; vgl. Galli Bibiena und der Musenhof der Wilhelmine von Bayreuth. Paradies des Rokoko II, hrsg. v. Peter O. Krückmann, Ausst.-Kat. Bayreuth, Neues Schloss, München, New York 1998, II, S. 265.
9 Kurt Zeitler, München, fühlte sich in der Art der axialen Tiefenerstreckung und hinsichtlich der Zeichentechnik an Arbeiten von Lorenzo Quaglio d. Ä. erinnert. Mitteilung per E-Mail auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 14. 3. 2007. Diese Beobachtung weist auf die anhaltende und weitreichende Wirkung der Bildfindungen Giuseppe Galli Bibienas hin.
10 Joseph Gregor: Wiener szenische Kunst. Die Theaterdekoration der letzten drei Jahrhunderte nach Stilprinzipien dargestellt, Wien 1924, S. 97.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso oben in der Mitte bezeichnet: "Composition" (Bleistift); unten links Aufkleber mit der Aufschrift: "Coll. W. v. d. Hellen."; oberhalb davon in Bleistift nummeriert: "64" (Bleistift); links davon nummeriert: "8" (Bleistift); unten rechts in der Mitte bezeichnet: "Entwurf zum 'Zwinger' in Dresden" (Bleistift); unten rechts bezeichnet: "G. P. Pannini / Nr. 311" (Bleistift)

Provenienz

Washington von der Hellen (1834-1900), Hamburg (nicht bei Lugt); Gustav von der Hellen (1879-1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle

Bibliographie

Spettacolo barocco! Triumph des Theaters, hrsg. von Andrea Sommer-Mathis, Daniela Franke, Rudi Risatti, Ausst.-Kat. Theatermuseum Wien 2016, S.157, Abb.156

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.183-184, Nr.235, Abb.Farbtafel S. 56

David Klemm: Von Leonardo bis Piranesi. Italienische Zeichnungen von 1450 bis 1800 aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner, David Klemm und Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Bremen 2008, S.178-179, Abb, S. 233, Nr.82