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Giovanni Battista Piranesi, Zeichner
Halbfigur eines bÀrtigen Mannes, 1765-1770
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Giovanni Battista Piranesi, Zeichner

Halbfigur eines bÀrtigen Mannes, 1765-1770

Giovanni Battista Piranesi, Zeichner

Halbfigur eines bÀrtigen Mannes, 1765-1770

Als die Zeichnung im Jahr 2000 von der Hamburger Kunsthalle im internationalen Kunsthandel erworben wurde, war sie in der einschlĂ€gigen Fachliteratur unbeschrieben. Wesentliche Motivation fĂŒr den Ankauf war, den an architektonischen und kunsthandwerklichen EntwĂŒrfen Piranesis reichen Bestand um eine figĂŒrliche Darstellung zu erweitern.
Es handelt sich um eine schwungvoll mit sehr breiter Feder gezeichnete Studie eines auf seinen Armen ruhenden, bĂ€rtigen Mannes. Dominierend sind kraftvolle, dicke, zum Teil in mehreren Lagen ĂŒbereinander gesetzte FederzĂŒge. Sie sind sowohl parallel, als auch kreuzweise und auch im Zickzackverlauf angelegt. In einzelnen Bereichen erzeugen die mehrfach ĂŒbereinander gesetzten Strichlagen sehr dunkle Bildzonen. Vor allem an der linken Schulter sind starke Pentimenti zu erkennen. Hier sind besonders kraftvolle Strichlagen gesetzt worden, die die Kontur stark verunklĂ€ren. Dabei ging der KĂŒnstler derart heftig vor, dass das Blatt leicht beschĂ€digt wurde. Im Kontrast hierzu stehen feinere, hĂ€kchenartige und kĂŒrzelhafte Striche, die in den weiß belassenen Zonen – vor allem im Binnenbereich der Kleidung – gesetzt sind. Trotz des großen zeichnerischen Aufwandes bleiben manche Partien der Zeichnung unklar und unbefriedigend.
Dies betrifft vor allem die Tatsache, dass all diese unterschiedlichen Strichbilder kein erkennbares zeichnerisches System ergeben, was eine nicht voll ĂŒberzeugende Ă€sthetische Gesamtwirkung hervorruft. Zum anderen sind SchwĂ€chen in der Detailbehandlung, so bei den HĂ€nden, unĂŒbersehbar. Letztlich bleibt die rĂ€umliche Umgebung der Figur weitgehend unbestimmt. Trotz oder gerade wegen dieser WidersprĂŒchlichkeiten geht von der Darstellung eine starke PrĂ€senz aus.
Im zeichnerischen Schaffen Piranesis bilden Figurenstudien in gebĂŒhrendem Abstand zu den architektonischen und kunsthandwerklichen EntwĂŒrfen eine durchaus umfangreiche Gruppe. Die Mehrzahl der Zeichnungen zeigt einzelne oder mehrere zumeist recht schlanke Figuren. Meistens sind diese völlig ohne rĂ€umlichen Bezug, z. B. zu einer architektonischen Umgebung, dargestellt. Übereinstimmend ist auch, dass sie in dunkler Tinte gezeichnet sind. Die oben beschriebene Vehemenz der Strichbildung ist zwar relativ selten, lĂ€sst sich aber z. B. auf einer Zeichnung in der École Nationale SupĂ©rieure des Beaux-Arts in Paris nachweisen.(Anm. 1) Hier finden sich auch Ă€hnliche hĂ€kchenartige KĂŒrzel, die ebenfalls wenig logischen Sinn ergeben. Die auffallend unruhigen, um den Körper herum angelegten Schraffuren erscheinen auch auf einem Blatt mit Figurenstudien in der ehemaligen Sammlung Scholz in New York.(Anm. 2) Das Hamburger Blatt lĂ€sst sich demnach in zeichentechnischer Hinsicht mit einigen Piranesi zugeschriebenen BlĂ€ttern in Verbindung bringen. Andrew Robison schlug eine Datierung der Studie in die spĂ€ten 1760er Jahre vor.(Anm. 3)
Fragt man nach der Funktion der Zeichnung, so dĂŒrfte der ruhende Mann schwerlich – wie das bei den zahlreichen anderen Studien der Fall ist – als Vorbereitung fĂŒr eine der zahlreichen Staffagefiguren auf einer der Radierungen Piranesis beabsichtigt gewesen sein. Eine vergleichbare MĂ€nnerfigur findet sich auf dem Titelblatt der 1764 herausgegebenen Folge mit Reproduktionen nach Werken Guercinos.(Anm. 4) Die Darstellung der Figur ist dort aber gegenĂŒber der Zeichnung deutlich abgeklĂ€rter, beruhigter wiedergegeben und zudem in der Haltung etwas unterschiedlich. Auch wenn nicht von einer direkten Vorzeichnung gesprochen werden kann, ist nicht auszuschließen, dass das Hamburger Blatt eine Ideenskizze dafĂŒr darstellt.
Trotz dieser durchaus nachvollziehbaren Einbindung in das Schaffen Piranesis bleiben Zweifel an der AuthentizitĂ€t des Blattes. Zwar betonte Andrew Robison im Dezember 2006, dass Piranesi grundsĂ€tzlich Probleme beim Zeichnen der HĂ€nde habe und seine Figurendarstellungen generell weit hinter der ĂŒberragenden QualitĂ€t der ArchitekturentwĂŒrfe zurĂŒckstehen.(Anm. 5) Er hob aber auch hervor, dass die bereits erwĂ€hnten starken Pentimenti und die unruhige StrichfĂŒhrung fĂŒr Werke Piranesis in dieser Ballung eher ungewöhnlich seien.(Anm. 6)
Befremdlich sind auch das große Figurenformat sowie das fĂŒr eine Zeichnung seltene Bildmotiv. Zu den Zweifeln an der AuthentizitĂ€t trĂ€gt zudem auch die problematische Provenienz des Blattes bei: es war, wie oben beschrieben, bis zum Zeitpunkt seines Erwerbs im Jahr 2000 völlig unbekannt. Die beiden links unten angebrachten Sammler-Stempel sind bislang nicht zuzuordnen.
Nicht völlig auszuschließen ist daher, dass es sich hier um eine Nachahmung oder gar FĂ€lschung handelt. Andrew Robison schließt diese Möglichkeit jedoch aus (Anm. 7). FĂŒr ihn ist zwar die EigenhĂ€ndigkeit nicht mit letzter Sicherheit festzustellen. Auf jeden Fall dĂŒrfte das Blatt aber im unmittelbaren Umkreis Piranesis entstanden sein.

David Klemm

1 Paris, École Nationale SupĂ©rieure des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 267; Disegni di Giambattista Piranesi, bearb. v. Alessandro Bettagno, Cataloghi di Mostre 41, Ausst.-Kat. Venedig, Fondazione Giorgio Cini, Vicenza 1978, S. 63–64, Nr. 78.
2 London, Witt, Library; vgl. Hylton A. Thomas: The Drawings of Giovanni Battista Piranesi, London 1954, S. 60, Nr. 70.
3 Vgl. Hanna Hohl: Nachrichten aus dem Kupferstichkabinett; Neuerwerbungen, Kupferstichkabinett 1999/2000, in: Im Blickfeld. Die Jahre 1999/2000 in der Hamburger Kunsthalle, Hamburg [2001], S. 14-26, 73-84..
4 „Raccolta di alcuni disegni del Barbieri da Cento detto il Guercino in Roma MDCCLXIV. (
)“. Vgl. John Wilton-Ely: Giovanni Battista Piranesi. The Complete Etchings, 2 Bde., San Francisco 1994, II, S. 1109, Nr. 1015; Corinna Höper: Giovanni Battista Piranesi. Die poetische Wahrheit – Radierungen, in Zusammenarbeit mit Jeannette Stoschek, Stefan Heinlein, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Ostfildern-Ruit 1999, S. 309.
5 MĂŒndliche Mitteilung, Dezember 2006.
6 MĂŒndliche Mitteilung, Dezember 2006.
7 MĂŒndliche Mitteilung, Dezember 2006.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten links zwei nicht identifizierte Stempel; auf dem Verso in der Mitte bezeichnet: "D." (Feder in Braun und Schwarz); rechts daneben Stempel der Hamburger Kunsthalle (nicht bei L., in Gebrauch seit ca. 1963); rechts davon bezeichnet:"f +" und "f" (Bleistift); unten links nummeriert: "23" (rote Kreide?)

Provenienz

Giovanni Battista Piranesi (1720 - 1778), Zeichner, 1765-1770 - ? (1); [...] (2); [...] (3); Verst. Old Master Drawings, Christie’s, Nr. 42, New York, 28.1.2000 (4); Ankauf von dort durch die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen (heute = Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, 28.1.2000 (5); seitdem Dauerleihgabe an die Hamburger Kunsthalle

1) Es ist zu klÀren, wann, wie und an wen das Blatt verkauft oder weitergegeben worden war.
2) Bislang unbekannte Provenienz/en. Auf dem Blatt befinden sich zwei nicht identifizierbare Sammlerstempel. Diese sind zu identifizieren und einzuordnen. Einer entspricht offenbar Lugt 2925 (siehe hierzu http://www.marquesdecollections.fr/detail.cfm/marque/10250/total/1), der jedoch bislang nicht nÀher mit einer Sammlung in Zusammenhang gebracht werden konnte.
3) Bislang unbekannte Provenienz/en. Siehe 2).
4) Eintrag Inventarbuch Kupferstichkabinett 1997 - 2009, S. 49f.
5) Eintrag Inventarbuch Kupferstichkabinett 1997 - 2009, S. 49f. Die Ankaufssumme betrug ohne Aufgeld 79,500 $.

Kein Befund in lostart.de (21.4.2020, Ute Haug.)

Stand: 21.4., 24.4., 15.5.2020, Ute Haug.
Status: in Bearbeitung, ungeklÀrt, bedenklich.

Haben Sie Fragen, Kritik, Anregungen? Bitte richten Sie eine Nachricht an Dr. Ute Haug unter ute.haug@hamburger-kunsthalle.de.
Do you have questions, criticism, suggestions? Please send a message to Dr. Ute Haug at ute.haug@hamburger-kunsthalle.de.

Bibliographie

150 Jahre Hamburger Kunsthalle. Die AnkÀufe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Stiftung Hamburger Kunstsammlungen, 2019, S.176, Abb.

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.290-291, Nr.427

Im Blickfeld. Die Jahre 1999/2000 in der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Uwe M. Schneede, Hamburg 2001, S.38-39, Abb., 73

Andreas Stolzenburg: Die Zeichnungen der Alten Meister. Gesammelt und ausgestellt in der Hamburger Kunsthalle, in: Von DĂŒrer bis Goya. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2001, , S.6

Petra Roettig, Annemarie Stefes, Andreas Stolzenburg: Von DĂŒrer bis Goya. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2001, S.66-67, Nr.28, Abb.

Hanna Hohl: Nachrichten aus dem Kupferstichkabinett; Neuerwerbungen, Kupferstichkabinett 1999/2000, in: Im Blickfeld. Die Jahre 1999/2000 in der Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2001, S. 14-26, 73-84, S.38, Abb., S. 73

Christie's: Old Master Drawings, Ausst.-Kat. New York, New York 2000, S.60-61, Nr.42

Stitung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen. Erwerbungen 1998/1999/2000, , Hamburg [2000], S.16, Abb.17