Cornelis Saftleven
Phantastischer Tierkampf, 1630
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Cornelis Saftleven

Phantastischer Tierkampf, 1630

Cornelis Saftleven

Phantastischer Tierkampf, 1630

Unser Blatt entstand 1630, und die Ausführung auf Pergament lässt darauf schließen, dass es als eigenständiges Kunstwerk und damit als Sammlerstück angelegt war. Dem gleichen Zweck dienten vermutlich zwei ebenfalls auf Pergament gearbeitete und 1630 datierende Zeichnungen in Paris, gleichfalls phantastische Szenen darstellend.(Anm.1) Thematisch eng verwandt, aber in kleinerem Format (184 x 228 mm) und auf gewöhnlichem Papier gearbeitet ist eine gezeichnete Darstellung kämpfender Spukgestalten in Kassel, die eine gemalte „Versuchung des Hl. Anthonius“ in Wien (1629) vorwegnimmt.(Anm.2) Eine daraus abzuleitende Funktion als Erstentwurf zu einem heute unbekannten Gemälde, wie von Schulz für die Hamburger Zeichnung vorgeschlagen, ist angesichts des kostbaren Trägermaterials indes wohl auszuschließen.(Anm.3)
Die Ikonographie der Hamburger Zeichnung konnte bislang nicht eindeutig aufgeschlüsselt werden. Dargestellt ist die kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen phantastischer Fabelwesen. Auffälligster Protagonist ist ein geflügelter Bär oder Hund, der, in der Haltung eines Hl. Georg auf einer Mischung aus Hund, Pferd und Löwe reitend, einen am Boden liegenden Frosch ersticht. Die aufrecht stehenden Figuren am linken Rand sind ebenfalls als Hunde- oder Bärenwesen zu deuten. Ein Kämpfer im Schuppenpanzer bohrt seine Lanze in den Bauch eines am Boden liegenden Lurches. Zu seinen Füßen wird eine Gruppe kauernder Affenwesen von einem Hund angekläfft. Die Truppe des linken Flügels wird zum Hintergrund hin offensichtlich von menschlichen Kämpfern verstärkt: Mit feinem Strich angedeutet sind Ritter auf Pferden mit erhobenen Bannern und Feldzeichen.
Im Gegensatz zu den entschieden vorgehenden Angreifern der links aufgestellten Partei sind die zurückweichenden Gegner nur unzureichend bewaffnet. Ganz vorne steht ein hühnerfüßiges Wesen im Muschelpanzer mit vorgestrecktem Hundekopf. Im geöffneten Maul hält es einen zerrissenen Geldsack, aus dem Münzen auf den Boden fallen. Hinter ihm kniet eine Figur mit einer auf den Rücken geschnallten Drehleier und richtet eine Karotte gegen den Feind. Seine Mitstreiter sind mit einem dürren Ast, einer Oboe und einem Paukenschlägel bewaffnet und verschanzen sich hinter einem mit Krug und Brille bestückten Brett. Aus der Luft werden die Kämpfer unterstützt: Links fliegen Fledermäuse, und ein geflügeltes, menschenähnliches Wesen – ein Engel? – hält die Sonne in den Händen. Rechts, weiter in den Hintergrund abgerückt, präsentiert ein geflügelter Dämon einen Halbmond wie ein Feldzeichen.
Die Zeichnung steht vor dem Hintergrund einer auffälligen Beschäftigung mit allegorischen Themen im Frühwerk des Künstlers. Offensichtlich fand der junge Saftleven Gefallen an diesen von flämischen Vorläufern angeregten Bildwelten. In der „Iconographie“ des Anton van Dyck (1636/42) wird er als „Hollandus pictor noctium phantasmatum“ bezeichnet.
Ikonographisch gibt es, besonders in der Wiedergabe der Spukgestalten, Berührungspunkte zum Thema der Anthonius-Versuchung, nicht zuletzt durch die eingangs erwähnte Zeichnung in Kassel. Auf einen religiösen Bezug könnten auch die jeweils einer Seite zugeordneten Himmelszeichen verweisen: Lässt sich die positive Bewertung der Sonne auf die siegreich vorgehenden „Hundetruppen“ übertragen, im Gegensatz zu dem im 16. und 17. Jahrhundert – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Türkenkriege – mit dämonischen Elementen bzw. der Torheit der Menschen assoziierten Mond?(Anm.4) Ein dem biblischen Bericht zufolge unreines Tier ist der Frosch, der in Anlehnung an die Bedeutung der Kröte als Symbol der Wollust zu deuten wäre. Bestätigt werden diese Beobachtungen durch die an auffälliger Stelle platzierte Muschel, die als Symbol für fleischliche Liebe, Karneval, gelegentlich auch Hexerei bewertet wurde.(Anm.5) Auch der Krug, die Musikinstrumente und der zerrissene Geldsack wären als Symbole für lose Sitten, Verschwendung und sinnlosen Zeitvertreib zu interpretieren: Damit wären die unterliegenden Kämpfer als Narren decouvriert.(Anm.6)
Es deutet also einiges auf eine Interpretation als „Kampf zwischen Tag und Nacht“, „Licht und Finsternis“ oder „Tugend und Laster“, was die Vehemenz im Vorgehen der siegreichen Truppe erklären könnte. Dies ließe sich möglicherweise konkretisieren durch Aufschlüsselung des aus einem Schild mit drei Bällen bestehenden Wappens auf dem Muschelpanzer: Vielleicht bezieht sich die im Hintergrund angedeutete Schlacht regulärer Truppen auf ein tatsächliches Ereignis, dem die Spukgestalten im Vordergrund eine allegorische Bedeutungsebene verleihen. Eine zeitgeschichtliche Konnotation fände generell Bestätigung durch entsprechende Bildthemen, die Saftleven in dieser Zeit gerade durch die tiergestaltige Allegorie zum Ausdruck brachte.(Anm.7) Es besteht indes auch die Möglichkeit, dass sich die Darstellung einer eindeutigen Interpretation bewusst entzieht und ganz der spielerischen Phantasie des Künstlers entsprungen ist. Dies könnte die hier auf Seiten der Sieger positionierte Fledermaus erklären, die sonst eher als Symbol für Dämonie und Nacht zu verstehen ist.(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 23182 (147 x 209 mm) und Inv.-Nr. 23183 (345 x 275 mm), Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 14 und 15.
2 Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. K.II-5068 (184 x 228 mm), Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 12; Wien, Sammlung Schönborn-Buchheim, Inv.-Nr. G 112, ebd. Nr. 504, Schrecken und Lust. Die Versuchung des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch bis Max Ernst, Ausst.-Kat. Hamburg, Bucerius Kunst Forum, München 2008, Nr. 28.
3 Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, S. 43, 47.
4 Vgl. die Assoziationen zum Halbmond bei Hieronymus Bosch: D. Bax: Hieronymus Bosch. His picture-writing deciphered, Rotterdam 1979, S. 194–196.
5 D. Bax: Hieronymus Bosch. His picture-writing deciphered, Rotterdam 1979, S. 259–260; vgl. etwa mit dem „Garten der Lüste“ des Hieronymus Bosch, Madrid, Museo del Prado, Inv.-Nr. P02823.
6 Auch der Brille ist eine negative Konnotation zu eigen, wie das Beispiel einiger Embleme zeigt, vgl. Juan de Boria, 1581, S. 47, Nr. 46: „Voreingenommenheit durch Leidenschaften“, Arthur Henkel, Albrecht Schöne: Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, Sp. 1424; Sebastián de Covarrubias, 1610, Nr. 18: „Vorurteile“, ebd. Nr. 1425. Krug und Drehorgel wären in Anlehnung an die Bettlerradierungen Callots möglicherweise als Anspielungen auf das Bettlertum zu interpretieren. Vgl. auch das „Inventar der Versuchung“, eine Aufschlüsselung der beliebtesten Symbole bei Bosch und seinen Nachfolgern, in: Schrecken und Lust. Die Versuchung des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch bis Max Ernst, Ausst.-Kat. Hamburg, Bucerius Kunst Forum, München 2008: Brille als Zeichen des Getäuschtwerdens (S. 200), Gefäß als Symbol für weibliche Organe (S. 202), Frosch bzw. Kröte als Symbol für Unreinheit (S. 203). Der offene Geldbeutel als Warnung vor Verlockungen des Reichtums findet sich auch auf der unter Anm. 2 erwähnten Anthonius-Versuchung Saftlevens.
7 Z. B. die „Allegorie auf die prozeßsüchtigen Bauern“, 1629, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. 1768, Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 501; „Allegorie auf die Gier nach dem Golde“, 1630, Dijon, Musée Magnin, Cat. 1922, Nr. 124, Schulz 1978, Nr. 517; „Satire auf den das Gold Flanderns teilenden Herzog von Alba“, um 1629/30, Standort unbekannt, Schulz 1978, Nr. 506; vgl. auch Schulz 1978, S. 8–11 zu diesem Themenkomplex. Vgl. auch den Hinweis von Buck 2001, S. 233 zu zwei Zeichnungen aus dem Bosch-Umkreis, den Kampf der Vögel gegen die Säugetiere darstellend, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 13136, Inv.-Nr. KdZ 14715.
8 Vgl. Schrecken und Lust. Die Versuchung des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch bis Max Ernst, Ausst.-Kat. Hamburg, Bucerius Kunst Forum, München 2008, S. 201. Oder bezieht sich Saftleven hier auf ein Emblem des Jacobus à Bruck, das eine vom Stern beschienene Fledermaus als Symbol für „Ruhm aus getreuer Pflichterfüllung“ interpretiert? Vgl. Henkel/Schöne 1976, Sp. 902 (1615, Nr. 12).

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Signiert und datiert unten links: "C. Saftleuen 1630" (schwarze Kreide)

Verso auf dem Kaschierpapier bezeichnet oben Mitte: "2043" (Bleistift); unten links Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); unterhalb davon bezeichnet: "2.9. 9.0" (Bleistift, Harzen?); unterhalb davon L. 2426; unten rechts bezeichnet: "h 241 br 345" (Bleistift, Ende 19./Anfang 20. Jh.)

Wasserzeichen / Kettenlinien

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Provenienz

Thomas Dimsdale (1758-1823), London (L. 2426); Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 60: "[Cornelius Sachtleven.] Zwey Heere phantastischer Ungethüme liefern einander eine Schlacht: in der Mitte des Gewühles zeichnet sich aus ein affenartiges Monstrum mit Flügeln, auf einem großen Hunde reitend, der einen Frosch mit der Lanze erlegt. Bez. C Saftleven 1630. In Höllenbreughels Weise componiert und mit Kreide auf Pergament sorgfältig ausgeführt. 12.9.9.0 Samml. Dimsdale"; NH Ad: 02: 01, S. 298); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.489-490, Nr.908

Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, S.11, 43, 47, Nr.13, Abb.111

B.J.A. Renckens: Enkele notities bij vroege werken van Cornelis Saftleven, in: Bulletin Museum Boymans van Beuningen 13, 1962, S. 59-74, S.65, Abb.17