Caspar David Friedrich
Straße an der Elbe, mit verfallenem Torbogen, um 1799
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Caspar David Friedrich

Straße an der Elbe, mit verfallenem Torbogen, um 1799

Caspar David Friedrich

Straße an der Elbe, mit verfallenem Torbogen, um 1799

Die topographische Bestimmung des Blattes geht auf Helmut Börsch-Supan zurück, der den Torbogen unter Hinweis auf Bernardo Bellottos „Ansicht von Pirna von Copitz aus“ (Anm. 1) am Elbufer in Pirna im westlichen Teil der Stadt identifizierte.(Anm. 2) Der sich auf Bellottos Gemälde markant abhebende Torbogen gehörte ursprünglich wohl zu den Sicherungsanlagen vor dem Elbtor, war aber bereits in den 1750er Jahren, als dessen Gemälde entstand, offensichtlich ohne wirkliche Funktion. Auf Bellottos Gemälde erkennt man ebenfalls die oben auf den Substruktionen stehende kursächsische Postmeilensäule, die 1729 von der Stadt errichtet worden war. Der links neben dem Meilenstein stehende Baum ist eine freie Zutat Friedrichs, die zwar auf ein Skizzenbuchblatt in Berlin zurückgeht (Anm. 3), doch verändert wird: Gegenüber dem geraden, aufrechten Wuchs des Baumes auf der Skizze ragt der Baum jetzt schräg über die Substruktionen hinaus; dabei erscheint der linke, untere Ast im Torbogen in einer Weise, die wenig organisch bzw. gelungen wirkt. Dies gilt noch mehr für die unvollendete, kaum sichtbare Figurengruppe links vom Torbogen, über die sich Friedrich offensichtlich nicht endgültige Klarheit verschaffen konnte. Friedrich ist sich der Unzulänglichkeit der Ansicht vielleicht selbst bewusst gewesen, denn sie blieb unvollendet (Anm. 4), obwohl sie offensichtlich zur Übertragung in ein anderes Medium auf der Rückseite eingeschwärzt wurde.
Börsch-Supan hat das Blatt deshalb als „unvollendete Vedute“ angesprochen, damit auch ausdrückend, dass es sich um keine genuine Landschaftsinvention Friedrichs handelt, was bereits Werner Sumowski bemerkt hatte, der für die frühen Ansichten Friedrichs „formale Anspruchslosigkeit und Bejahung der Konvention“ konstatierte.(Anm. 5) Tatsächlich ist nicht nur in der Wahl des Motivs sondern auch in der Zeichenweise der Einfluss der Dresdner Schule Adrians Zinggs spürbar. Johannes Grave hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Friedrich – nachdem er 1798 nach Dresden gekommen war – sich in den Jahren 1799/1800 einen Vorrat an Vorlagenmaterial anlegte, aber auch traditionelle Landschaftskompositionen seiner Dresdener Künstlerkollegen adaptierte.
Die Anregung zum Motiv der Hamburger Zeichnung verdankte Friedrich dabei nicht Bellotto, sondern möglicherweise einer 1742 entstandenen Radierung Johann Alexander Thieles, die das alte Elbtor bei Pirna von Süden zeigt.(Anm. 6) Friedrich wählte für seine Zeichnung zwar nahezu denselben Standort, doch ob Friedrich Thieles Radierung wirklich gekannt hat, wie Johannes Grave voraussetzt (Anm. 7), bleibt fraglich. Zu unterschiedlich sind die Bildauffassungen; gegenüber Thieles pittoresker Auffassung verweigert sich Friedrich bereits in dem frühen Blatt einer Ästhetik des Pittoresken, indem er eine geordnetere und strukturiertere Ansicht vorführt: Wo auf Thieles Ansicht das Tor in die Gesamtkomposition eingebunden ist, die Folie für das pittoreske Treiben am Ufer gibt, hebt es Friedrich als Solitär hervor, möglichweise um eine Übergangssituation zu symbolisieren (Anm. 8), doch vor allem, um dem vedutenartigen Charakter der Darstellung ein Gegengewicht zu geben.

Peter Prange

1Bernardo Bellotto, Pirna von Copitz aus, Öl/Lw, 135 x 236 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. Nr. 627, vgl. Bellotto 2000, S. 64-69, Abb.
2 Börsch-Supan 1973, S. 251, Nr. 39.
3 Baumstudie, 1799, Bleistift, Feder in Grau, 238 x 190 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 68, vgl. Grummt 2011, S. 152-153, Nr. 128, Abb.
4 Auch die kaum sichtbare Figurengruppe links neben dem Torbogen blieb unvollendet.
5 Sumowski 1970, S. 8.
6 Die schönsten Ansichten aus Sachsen. Johann Alexander Thiele (1685-1752). Zum 250. Todestag, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2002, S. 210, Nr. R 10, Abb.
7 Vgl. Grave 2005, S. 230.
8 Vgl. Grave 2005, S. 231-232. Unklar bleibt allerdings bei dieser Beobachtung der reale Bauzustand des Tors, den Thiele eher im Sinne einer Ruinenästhetik als dem Verfall anheimgegeben präsentiert. Friedrichs Tor dagegen ist – auch wenn bei ihm im bröckelnden Putz Ansätze des Verfalls sichtbar sind – von einer klaren Linearität und Vertikalität geprägt, die aber nicht, wie Grave suggeriert, dem Streben nach einer „konsequenten, durchgreifenden ästhetischen Ordnung der Komposition“ (S. 235) geschuldet ist, sondern offensichtlich dem damaligen Bauzustand entsprach, den auch Bellotto auf seinem Gemälde abbildet (vgl. Anm. 1). Auch auf seiner Ansicht von Pirna von Niederposta aus zeigt Bellotto das Tor im gleichen Zustand von der anderen Seite, vgl. Bellotto 2000, Abb. S. 85.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso: rechts in der Mitte nummeriert: "17" (Bleistift)

Wasserzeichen / Kettenlinien

Straßburger Lilie/ PD V & C:

Provenienz

Harald Friedrich, Hannover, ? - 1906; Ankauf von diesem, 1906

Bibliographie

Kilian Heck: Der Betrachter ist nicht im Bilde: Ein neuer Blick auf Caspar David Friedrichs Malerei, in: Kunstchronik 66, Nr. 7, S.349-350, Abb.Nr. 1

Johannes Grave: Caspar David Friedrich, München-London-New York 2012, S.69, Abb.58

Christina Grummt: Caspar David Friedrich. Die Zeichnungen. Das gesamte Werk, Bd. 1, München 2011, S.206, Abb., Nr.201

Caspar David Friedrich. Die Erfindung der Romantik, hrsg. von Hubertus Gaßner, Ausst.-Kat. Museum Folkwang, Essen; Hamburger Kunsthalle 2006, S.372, Abb.S. 236

Johannes Grave: Flusslandschaften mit Torbogen. Caspar David Friedrichs Anverwandlung eines Bildmotivs von Johann Alexander Thiele, in: Wallraff-Richartz-Jahrbuch 2005, Nr. 66, S. 229-236, S.229-236

Bernardo Bellotto genannt Canaletto in Pirna und auf der Festung Königstein, hrsg. von Werner Schmidt, Pirna 2000, S.66, Abb.

Karl-Ludwig Hoch: Caspar David Friedrich in der Sächsischen Schweiz. Skizzen, Motive, Bilder, Dresden/ Basel 1995, S.53, Abb.34

Caspar David Friedrich. Pinturas y dibujos, Ausst.-Kat. Museo del Prado, Madrid 1992, S.40, 80, 282, Nr.4, Abb., Abb.S. 81

Hans Dickel: Caspar David Friedrich in seiner Zeit. Zeichnungen der Romantik und des Biedermeier, hrsg. von Manfred Fath, Die Zeichnungen und Aquarelle des 19. Jahrhunderts der Kunsthalle Mannheim, Bd. 3, Weinheim 1991, S.72, Nr.bei Nr. 15, Anm. 3

Caspar David Friedrich - seine Zeichnungen in der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1990, S.7, 32, Nr.7, Abb.4 auf S. 11

Karl-Ludwig Hoch: Caspar David Friedrich und die böhmischen Berge, Dresden 1987, S.13

Karl-Ludwig Hoch: Caspar David Friedrichs Frömmigkeit und seine Ehrfurcht vor der Natur, Leipzig 1981, S.152

Philipp Otto Runge Caspar David Friedrich aus der Hamburger Kunsthalle, dem Kunsthistorischen Museum und der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, Ausst.-Kat. Oberes Belvedere, Wien 1978, S.28, Nr.7, Abb.

Linda Siegel: Caspar David Friedrich. And the Age of German Romanticism, Boston 1978, S.47, Abb.

Caspar David Friedrich und sein Kreis, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister 1974, S.203, Nr.122

Caspar David Friedrich 1774-1840, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, München 1974, S.126, Nr.25, Abb.

Marianne Bernhard, Hans H. Hofstätter: Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk, München 1974, Abb.S. 202

Helmut Börsch-Supan, Karl Wilhelm Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München 1973, S.250, Nr.39, Abb.

Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 1: Carl Blechen (1798-1840) bis Friedrich Olivier (1791-1859), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973., S.1989, Abb.S. 340

Werner Sumowski: Caspar David Friedrich-Studien, Wiesbaden 1970, S.8, Abb.2

Sigrid Hinz: Caspar David Friedrich als Zeichner. Ein Beitrag zur stilistischen Entwicklung und ihrer Bedeutung für die Datierung der Gemälde, Bd. 2, Greifswald, Univ., Diss. 1966, S.31, Nr.213

Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875. Zeichnungen, Aquarelle. Pastelle, Ölstudien. Miniaturen und Möbel, Ausst.-Kat. Königliche Nationalgalerie Berlin 1906, S.39, Nr.2419

Alfred Lichtwark: Kunsthalle zu Hamburg. Verzeichnis der Geschenke und Erwerbungen des Jahres 1906, Hamburg 1906, S.42, Nr.101