Die erstmals von H. Calmann vorgeschlagene Zuschreibung an Jacob de Gheyn wurde von Van Regteren Altena akzeptiert.(Anm.1) Das Motiv geht auf eine Fabel Äsops zurück und war in der emblematischen Literatur verbreitet. Entsprechende Darstellungen mögen dem Künstler bekannt gewesen sein. In den 1610 in Madrid publizierten „Emblemas Morales“ des Spaniers Sebastián Orozco de Covarrubias begegnet das Adler-Schildkröte-Motiv unter dem Motto „Ut Lapsu graviore ruat“; in der deutschen Fassung von 1619 heißt es: „Damit sie um so tiefer stürzt. Schon glaubte die Schildkröte Flügel zum Fliegen zu haben, als sie in den Fängen des Adlers in das Reich der Lüfte emporgetragen wurde. Die Elende verachtete bald, selbstvergessen ob solch hoher Gunst, alles, was sie unter sich sah. Doch während sie ein Stern am Himmel zu sein glaubt, wirft er sie auf einen Felsen, wo sie zerschellt.“(Anm.2)
Von ähnlich moralisierender Aussage ist die in Zusammenarbeit mit Hugo Grotius entstandene Folge „Omnium rerum vicissitudo est“ (vgl. Inv.-Nr. 52329). Vielleicht entstand das Blatt vor einem ähnlichen Hintergrund des Austausches mit intellektuellen Freunden. De Gheyns Interesse an emblematischen Darstellungen ist zum einen belegt durch seine Liebesembleme zu Texten von Daniel Heinsius (H. 307–331, 1601), dem ersten holländischen Emblembuch überhaupt, zum anderen durch die 1616 datierte „Allegorie der Zeit“ und die 1596 gestochene Devise der Leidener Rhetoriker (H. 256; vgl. auch H. 257 aus demselben Jahr).(Anm.3)
Eine De Gheyn zugeschriebene Studie einer Schildkröte diente möglicherweise als Ausgangspunkt für das hier gezeichnete Tier.(Anm.4)

Annemarie Stefes

1 J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 2, S. 60.
2 Vgl. Arthur Henkel, Albrecht Schöne: Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, Sp. 613.
3 Album Amicorum des Ernest Brinck, Den Haag, Koninklijke Bibliotheek, MS. 133M87, J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 2, Nr. 203.
4 Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 2356, J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 2, Nr. 887.