Kapitel der Ausstellung

Der englische Künstler William Blake (1757-1827) drückte seine visionären Ideen durch die Kombination von Druckgraphik, Malerei und Poesie aus. Er verdiente einen bescheidenen Lebensunterhalt als professioneller Kupferstecher, reagierte aber in seinem eigenen Werk mit kraftvollen Bildern der Menschheitsgeschichte, des Leidens und der Erlösung auf eine Welt in der Krise.

Die Welt veränderte sich zu Blakes Lebzeiten drastisch, von Revolutionen und Krieg in Amerika und Europa bis zum Kampf um die Abschaffung der Versklavung und die Expansion des britischen Empire. Blake beschäftigte sich aktiv mit gegenwärtigen Themen und glaubte, dass seine einzigartige Kombination aus Kunst und Poesie die Menschheit erlösen könnte.

Blake war Teil einer Konstellation von Künstlern und Schriftstellern in Europa, die im späten 18. Jahrhundert nach neuer Spiritualität in Kunst und Leben strebten. Blakes Freund John Flaxman wurde durch seine Liniengravuren, die auf klassischen mittelalterlichen Texten basieren, in ganz Europa sehr einflussreich. In Deutschland erforschten die Künstler Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich ähnliche Ideen, obwohl sie seine Arbeiten nicht kannten. Diese Künstler sind verbunden durch einen starken Sinn für Individualität und ein gemeinsames Bestreben, ihre Visionen von geistiger Erneuerung durch Kunst zu vermitteln.

William Blake und seine Künstlerzeitgenossen

William Blake war eng mit Johann Heinrich Füssli, John Flaxman und Samuel Palmer befreundet. Seine deutschen Zeitgenossen Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich oder Asmus Jacob Carstens kannte er hingegen nicht. Doch hatten diese Künstler viele Gemeinsamkeiten. Alle kannten das Werk des international berühmten Flaxman und ließen sich von ihm inspirieren. Alle hatten an Akademien studiert, die die klassische Antike zum Ideal erhoben. Und gegen die strengen Regeln dieser akademischen Ausbildung wehrten sie sich alle. Die Betonung des Selbst in ihren Porträts und Selbstporträts hat ihre Wurzeln wohl in der protestantischen Sorge um das persönliche Seelenheil. Damit war der Wunsch verbunden, gegen den Rationalismus der Aufklärung und der Französischen Revolution das Geistige wieder aufleben zu lassen. Gemeinsam ist ihr Glaube an die Kunst als einer kritischen Kraft in der Welt.

Dieses Porträt wurde von John Linnell, einem Landschafts- und Porträtmaler, angefertigt, der mit Samuel Palmer, George Richmond und anderen zu einer Gruppe von jungen Malern gehörte, die Blakes Werk bewunderten. Sie unterstützten ihn in seinen letzten Lebensjahren.

I Die Vergangenheit. Antike und die Gotik

Aus der Vergangenheit lernen

Wie alle Künstler*innen war auch William Blake zutiefst geprägt von der Kunst der Vergangenheit. Dieses Kapitel der Ausstellung widmet sich dem Stellenwert der klassischen Antike und der Alten Meister für Blake und seine Zeitgenossen, die sie in verschiedenen Medien kopierten und nachahmten. Es zeigt sich dabei aber auch ein Bedürfnis, sich von den klassischen Idealen zu entfernen. Blake weist diese schließlich zurück.

Dieser eindrucksvolle Kupferstich ist nach einer Ölskizze von Füssli entstanden, die als Illustration zu Dantes Inferno gilt. Er ist aus einem Geflecht von Kreuzschraffuren aufgebaut, wie sie in Reproduktionsstichen nach Historiengemälden üblich sind, doch bleibt unklar, aus welchem Anlass der Druck entstand. Die unglaubliche Dramatik und Ekstase des Motivs wird Blake bewundert haben.

II Die Gegenwart. Europa in Flammen

„Ketten, die der Geist geschmiedet“: Sklaverei und Freiheit

Blakes Prophezeiungen der 1790er Jahre liegt die Dialektik von Gefangenschaft und Freiheit zugrunde. In Blakes Werk gibt es physische Ketten, die Körper versklavter Menschen beherrschen, aber auch mentale Ketten, die von der institutionalisierten Kirche und der rationalen Philosophie angelegt werden. Die Revolutionen in Amerika und Frankreich nimmt Blake zum Vorbild für seine Visionen für Europa. Seine Idee der Freiheit schließt die Abschaffung aller Gesetze ein, die die geistige und sexuelle Freiheit einschränken. Dieser Teil der Ausstellung zeigt Blake und seine Zeitgenossen im Ringen mit einer Welt im politischen und sozialen Aufruhr.

Blakes Europa, eine Prophezeiung thematisiert die politischen Ereignisse der Französischen Revolution und den daraus resultierenden Krieg zwischen Frankreich und England als ein apokalyptisches Potential für eine neue Ordnung. Die Erzählung wird verwoben mit der ersten Menschwerdung Christi, bei Blake repräsentiert durch die revolutionäre Figur Orc. Zum Beginn der Erzählung wird Orcs Botschaft der Befreiung von Enitharmon verschleiert. Sie verkörpert die kirchliche Institution, die in der alten Ordnung die Menschheit beschränkt und täuscht. Die vier apokalyptischen Reiter – Hunger, Seuche, Feuer und Krieg – werden in der Erzählung über Europa losgelassen. Garnet Terry, Benjamin West, Johann Heinrich Füssli und George Romney haben ebenfalls Arbeiten geschaffen, die einen Zusammenhang zwischen den politischen Ereignissen und biblischen Prophezeiungen der Apokalypse aus der Offenbarung des Johannes herstellen.

 

III Die Zukunft. Spirituelle Erneuerung

Blakes neuer religiöser Stil 

Im September 1800 verließ Blake London und zog nach Felpham in Sussex, wo er Assistent des Dichters William Hayley wurde. Dies führte bei Blake zu einer entscheidenden Neuausrichtung seiner Kunst und seines Lebens. In diesem Sinne entwickelte er einen „gotischeren“ malerischen Stil und beschäftigte sich mit historischen Persönlichkeiten wie Milton oder Jacob Böhme, dem deutschen Mystiker des 17. Jahrhunderts, der auch für Philipp Otto Runge große Bedeutung erlangte. In dieser Zeit arbeitete er an zwei Zyklen mit Malereien nach biblischen Themen für seinen Förderer Thomas Butts. Für Blakes neuen Stil ist das Licht charakteristisch, das von den heiligen Figuren ausgeht, um den ganzen Bildraum zu erleuchten, wie auch eine kompositorische Symmetrie mit einer starken Betonung der Mittelachse. Die formalen und intellektuellen Parallelen zwischen Blake und Runge in dieser Zeit sind äußerst bemerkenswert.

Philipp Otto Runge. Die Zeiten

Runges unvollendeter vierteiliger Zyklus Zeiten (1802-1810) ist eines der komplexesten Werke der Romantik. Auf mehreren Ebenen stellt er den Wechsel der Tageszeiten, der Jahreszeiten, der Menschenalter und der historischen Epochen dar. Es entspringt Runges Vorstellung vom universellen Lebenszyklus, dem täglichen Prozess des Werdens und Vergehens. Obwohl die beiden Künstler, Runge und Blake, in vielerlei Hinsicht verschieden waren und das Werk des jeweils anderen nicht kannten, teilte Blake Runges tiefe christliche Spiritualität und auch den Glauben an die Künste als eine Gesamtheit, die nach der Vereinigung mit dem Göttlichen strebt.

Die Zeiten sind das zentrale Werk Philipp Otto Runges, um deren Weiterentwicklung der Künstler bis zu seinem frühen Tod gedanklich kreiste. Ausgangspunkt dafür ist seine umfassende Vorstellung einer zyklischen Bewegung des universellen Lebens, des sich täglich erneuernden Werdens und Vergehens. Das verbindende Motiv der Zeiten ist die sich verändernde Darstellung der Lichtlilie.

Caspar David Friedrich. Die Lebensalter

Caspar David Friedrichs Beschäftigung mit der Darstellung von Zeit in Bildern verdankt sich wahrscheinlich den 1802/03 entstandenen Zeiten von Philipp Otto Runge, die er in Dresden im Sommer 1802 persönlich kennengelernt hatte. Runge erwarb zu dieser Zeit auch zwei Landschaften Friedrichs mit Motiven der Insel Rügen, die den Morgen und den Abend darstellten. Die siebenteilige Folge der Lebensalter erweitert Friedrichs Landschaftsmalerei um eine rätselhafte, mystische Komponente.