Philipp Otto Runge, Zeichner Angelika Kauffmann, Malerin, Entwerferin
Lasset die Kindlein zu mir kommen, 1799
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Philipp Otto Runge, Zeichner Angelika Kauffmann, Malerin, Entwerferin

Lasset die Kindlein zu mir kommen, 1799

Philipp Otto Runge, Zeichner Angelika Kauffmann, Malerin, Entwerferin

Lasset die Kindlein zu mir kommen, 1799

Am 15. Januar 1799 berichtete Runge in einem Brief an seinen Bruder Karl von einem Gemälde Angelika Kauffmanns, das er kopiert hatte: „Wenn Du kommst, sollst Du auch Gemälde und Kupferstiche sehen, wofür Du erstaunen sollst, neulich habe ich auch noch eins von Angelika Kauffmann ausgepackt, welches ich mir auch in der Geschwindigkeit kopiert habe, […]“. (Anm. 1) Runges Bericht wird durch Daniels Notiz ergänzt, dass „1799 ein, von den Stolbergen bestelltes Oelgemählde von Angelica Kaufmann aus Rom nach Hamburg [kam], das: ‚Lasset die Kindlein zu mir kommen‘, das unsern jungen Künstler mit Enthusiasmus erfüllte. Er machte sogleich eine Kreidezeichnung davon, und hat darnach öfters, selbst noch 1800 in Kopenhagen, skizziert.“ (Anm. 2)
Bettina Baumgärtel konnte nachweisen, dass nicht Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg (1714-1819) der Auftraggeber des Gemäldes war, sondern Kaspar Maximilian Freiherr Droste zu Vischering (1770-1846), der seit 1795 das Amt des Weihbischofs von Münster bekleidete (Anm. 3). In Rom hatte Droste auf einer Kavalierstour Kauffmann kennengelernt und war mit Stolberg teilweise durch Italien gereist. Stolberg konvertierte 1800 und hatte davor, gewissermaßen zur besseren Entscheidungsfindung, Kauffmanns Gemälde von Droste zum Geschenk erhalten (Anm. 4). Das Gemälde ist durch die Speditionsfirma Daniels über Hamburg nach Eutin transportiert worden; in Hamburg muss es entgegen Daniels Angabe bereits spätestens im November 1798 gewesen sein (Anm. 5).
Bis 1938 war nur eine Nachzeichnung Runges bekannt (Inv. Nr. 34262), in der er die Plastizität der Figuren durch das Helldunkel der schwarzen und weißen Kreide betont, deren gegenseitige Kontrastierung das räumliche Gefüge in eine vordere und hintere Figurenzone teilt, bleibt aber ähnlich wie bei den Kopien nach Piazzetta (vgl. Inv. Nr. 1938-118 und Inv. Nr. 1938-119) unpräzise, eher typisierend in der Angabe der Gesichter. 1938 tauchten auf der Versteigerung bei Boerner zwei weitere Blätter auf (Inv. Nr. 1938-87 und Inv. Nr. 1938-88), die sich in den Maßen und der Technik, aber auch in der skizzenhaften Anlage und dem zweigeteilten Aufbau gleichen. Beide weisen eine Rahmung auf und geben die Anordnung der Figuren und deren Haltungen nur im flüchtigen Umriss wieder; einzig auf Inv. Nr. 1938-87 wird das Gewand des Johannes und die Rückwand mit Pinsel ausgearbeitet. Runge konzentrierte sich auf dem Blatt auf die Christus-Apostel-Gruppe, während die Mutter-Kind-Gruppe links daneben nur flüchtig angedeutet wird. Auf Inv. Nr. 1938-88 erscheint die räumliche Konstruktion schlüssiger, doch ist die Komposition insgesamt gedrängter, in dem Runge teilweise sogar überlappend die Mutter-Kind-Gruppe enger als im Gemälde an die Christus-Apostel-Gruppe anschließt. Beide Blätter weisen links neben der Rahmung eine Randleiste mit verschiedenen Köpfen unterschiedlichen Ausarbeitungsgrads auf, in denen Runge die Köpfe von Christus (Anm. 6) und den Aposteln präzisiert, wobei auf Inv. Nr. 1938-88 der unterste Kopf nicht nach Kauffmanns Gemälde entstand
Inv. Nr. 34262 wird allgemein auf Runges Bericht bezogen, er habe das Gemälde „in der Geschwindigkeit kopiert“. Gegen diese Verbindung mit Runges Erwähnung spricht indes, dass das Blatt nicht schnell, in „Geschwindigkeit“, ausgeführt wurde, sondern sicher erst am Ende von Runges Beschäftigung mit dem Thema steht. Der schnellen Ausführung entspricht eher der skizzenhafte Charakter von Inv. Nr. 1938-87 und 1938-88, wobei die gedrängtere Komposition von Inv. Nr. 1938-88 den Ausgangspunkt zu bilden scheint. Sie müssten entgegen Traegers Datierung Anfang 1799 bereits Ende 1798 entstanden sein (Anm. 7), als sich das Gemälde in Hamburg befand.
Inv. Nr. 34252 zeichnet sich dagegen durch eine bildhafte Auffassung aus, die nicht Ergebnis eines schnellen Arbeitens sein kann sondern einer sorgfältigen Ausführung. Ob sich mit dem Blatt Daniels Nachricht verbinden lässt, Runge habe noch 1800 in Kopenhagen nach Kauffmanns Gemälde Kopien angefertigt, muss offen bleiben (Anm. 8); in jedem Fall sind Runges Kopien nach Angelika Kauffmanns Gemälde ein früher Beleg für seine Beschäftigung mit dem Caritas-Gedanken, den er im Morgen weiter ausarbeitete.
Ein viertes Blatt (Inv. Nr. 1938-120) wird allgemein Runges Beschäftigung mit Kauffmanns Gemälde zugeordnet, weil es das Motiv des Apostels am linken Rand von Inv. Nr. 1938-88 aufgreift. Dieser entstand allerdings wie der auf Inv. Nr. 1938-120 unter dem Apostelkopf befindliche Lastenträger nicht als Kopie nach Kauffmanns Gemälde (Anm. 9), dürfte aber gleichwohl zeitlich in diesen Zusammenhang gehören.

Peter Prange

1 Zitiert nach Betthausen 1981, S. 33.
2 HS I, S. 249.
3 Baumgärtel 2009, S. 210.
4 Baumgärtel 2009, S. 211.
5 Baumgärtel 2009, S. 212.
6 Entgegen Baumgärtel 2009, S. 208, handelt es sich auf Inv. Nr. 1938-87 nicht nur um die Wiederholung des Christuskopfes aus verschiedenen Perspektiven.
7 Datierung „vor 1799“ bereits bei Pauli 1916, S. 27, Nr. 1; und bei Stubbe 1960, Nr. 36.
8 Baumgärtel 2009, S. 208, hält es für möglich, dass das Blatt zu Ehren von Frederike Brun entstand, die Kauffmann sehr verehrte.
9 Deswegen muss auch Baumgärtels Identifizierung als Jacobus zweifelhaft bleiben, vgl. Baumgärtel 2009, S. 220, Anm. 59.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Verso unten Mitte bezeichnet: "Copie nach dem, Gemälde von / Angelica Kauffmann / Hamburg" (Schwarze Kreide)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts, Archiv Nr. 307, Catalog der Sammlung des Kunst-Vereins in Hamburg, S. 105: "1 Bl. gehöhte Kreidezeichnung nach dem Gemälde von Angelica Kaufmann: "Lasset die Kindlein zu mir kommen." Hamburg. 1799. grqfol."); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

Bettina Baumgärtel: Lasset die Kindlein zu mir kommen. Philipp Otto Runge und Angelika Kauffmann, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.288, Abb. 7

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.66, 74, 383, Nr.26, Abb.

Bettina Baumgärtel: Lasset die Kindlein zu mir kommen. Anglika Kauffmann und Philipp Otto Runge., in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch Köln: 2009 2009, S. 195-222, S.206-208, Abb.14

Thomas Buser: Religious Art in the Nineteenth Century in Europe and America, Studies in art and religious interpretation, 28a, Bd. 2, 2 Bde, Lewiston 2002, S.448

Retrospektive Angelika Kaufmann, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf; Haus der Kunst München; Bündner Kunstmuseum Chur, Ostfildern-Ruit 1998, S.422, Anm. 1

Oscar Sandner: Roma come destino, in: Angelika Kauffmann e Roma, Ausst.-Kat. Accademia di San Luca, Rom 1998, S.XLV, Abb. 34

Waltraud Maierhofer: Angelika Kauffmann, Reinbek 1997, S.133

Oscar Sandner: Hommage an Angelika Kauffmann, Ausst.-Kat. Vaduz, Mailand 1992, S.54, Abb.53

Hermann Mildenberger: J. H. W. Tischbein - Philipp Otto Runge - Friedrich Overbeck. Apekte des künstlerischen Austauschs, in: Jahrbuch des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf 1, 1986-87, Neumünster 1988, S. 31-87, S.60, Abb., Abb.47

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.82, 128, 263-264, Nr.80a, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Jörg Traeger: Gerdt Hardorff, ein früher Lehrer Runges, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 18, Hamburg 1973, S. 125-154, S.135-136, Anm. 30

Heinz Matile: Die Farbenlehre Philipp Otto Runges. Ein Beitrag zur Geschichte der Künstlerfarbenlehre (Berner Schriften zu Kunst, 13), Bern 1973, S.92

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.104

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.9, Nr.36

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.32, 140, 290

Charlotte Hintze: Kopenhagen und die deutsche Malerei um 1800, München 1937, S.50

Paul Ferdinand Schmidt: Philipp Otto Runge. Sein Leben und sein Werk, hrsg. von Karl Scheffler, Curt Glaser, Deutsche Mesiter, Leipzig 1923, S.37

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.27, Nr.1

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.249