Art and Alphabet Rundgang 3OG

 

Audiotext - 3. Obergeschoss

Sie befinden sich nun im 3. Obergeschoss der Galerie der Gegenwart. Wenn Sie aus dem Fahrstuhl heraustreten, wenden Sie sich bitte nach links und gehen in den ersten Raum, wo sich eine kleine Sitzecke mit einem Büchertisch befindet.

Links dahinter befindet sich auch das erste Werk dieser Etage, nämlich die Wandarbeit Abetare von Petrit Halilaj aus dem Jahr 2015. Bei Abetare handelt es sich um eine originalgetreue Reproduktion seiner eigenen Lesefibel aus Kindheitstagen, in der jeder Buchstabe mit einer Zeichnung und einem Wort verknüpft wird und kleine Bilderrätsel spielerisch ans erste Buchstabieren heranführen. Die einzelnen Buchseiten sind dabei wie eine Tapete auf die Wand aufgebracht. Farbige und fürs Kinderauge gemalte Gegenstände wie Autos, Flugzeuge und Busse, aber auch Mäuse, Hühner und Fliegen stehen für einzelne Anfangsbuchstaben. Kinder werden beim Spielen, mit Freunden oder in der Familie dargestellt.

Mit diesem Buch lernten schon Generationen von Kindern vor Petrit Halilaj, der 1986 im Kosovo geboren und in den 1990er Jahren dort aufwuchs, nicht nur Lesen und Schreiben. Gerade die Abbildungen von Alltagsszenen vermittelten zu einer Zeit, in der die Unterdrückung der albanischen Bevölkerung durch die serbische Regierung ihren Höhepunkt erreichte, auch kulturelle Identität.

Wenn Sie nun auf Ihrem Rundgang mit uns im Uhrzeigersinn weiter gehen und sich nach rechts wenden, gelangen Sie in einen länglichen Raum, an dem sich auf der linken Seite der Einführungstext zur Ausstellung befindet, den Sie bereits gehört haben. Daneben hängt die Arbeit Goya von Marcel Broodthaers. Auf dem 191 x 108 cm großen und 1974 entstandenen Bild sind mit Hilfe von Schablonen schwarze, grüne und rote Buchstaben aufgemalt.

Unter dem in Weiß geschriebenen und Schwarz unterlegten Namen »goya« folgen die ersten 5 Buchstaben des Alphabets. Allerdings entsteht eine Irritation, da die ersten drei Buchstaben Schwarz, die nächsten beiden jedoch Rot sind. Und die Regelhaftigkeit des Alphabets wird weiter unterlaufen, da in der nächsten Zeile die Buchstaben d, e und f nicht nur die Reihe des Alphabets unterbrechen, sondern sie obendrein in Grün ausgeführt sind. Auch die Buchstaben k, l, m, n und o wollen sich der alten Ordnung nur noch in Fragmenten fügen und sind zudem Rot. Und das eigenwillige Alphabet schließt mit einem weiteren in Schwarz gehaltenen abc. Alle Buchstaben sind klein geschrieben.

Lesefluss und Linearität der Schrift werden durch Farbwahl und Komposition unterbrochen. Diese »Störung von Weltordnung«, die sich auch in der bruchstückhaft wirkenden Struktur der Buchstaben selbst zeigt, ist typisch für den 1924 geborenen und 1976 gestorbenen Marcel Broodthaers. Der Belgier bewegte sich im Kreis der belgischen Surrealisten und wirkte u.a. als Dichter, Journalist und Antiquar bevor er sich der Bildenden Kunst zuwandte.

Mit einem dicken grünen Strich beschließt er sein Bild am unteren Bildrand und setzt ein kleines a darauf. Damit verweist er auf Goyas Capricho Nr 37, auf welchem ein alter Esel jungen Eseln den Buchstaben »A« lehrt. Darunter steht die Frage »Ob der Schüler wohl mehr wissen wird?« . Broodthaers chriffreartigen Schriftbilder, die die Grenzen zwischen Bild und Text ausloten, motivieren zu Gedankenspielen und werfen Fragen auf, wie die nach dem Fetischcharakter des Kunstwerks.

Wenn Sie nun weiter in den nächsten Raum gehen, biegen Sie dort bitte gleich nach links ab und gehen noch einige Schritte weiter geradeaus und dann wieder nach rechts. So gelangen Sie in einen kleinen Filmraum, in dem das Video Teaching a Plant the Alphabet läuft. Hier können Sie sich in einen der Kinostühle setzen und bei Bedarf eine der ausliegenden passiven Induktionsschleifen nutzen, um die Arbeit besser verstehen zu können.

Der 1931 geborene US-amerikanische Konzeptkünstler John Baldessari drehte die achtzehnminütige Videoarbeit 1972. Darin erlebt man ihn bei dem buchstäblichen Versuch einer Pflanze das Alphabet beizubringen: Er hält eine Tafel vor die Kamera, auf der jeweils ein lateinischer Buchstabe in Groß- und Klein-Schreibweise sowie Beispielwörter gedruckt sind. Gleichzeitig spricht er den Buchstaben vor. Die Pflanze soll nicht nur das Zeichen sehen, sondern auch die entsprechende Aussprache dazu vernehmen. Mit großer Ernsthaftigkeit versucht er, mit der Pflanze eine gemeinsame Sprache zu finden. Doch dies scheint ein aussichtsloses und absurdes Unterfangen: Mensch und Pflanze sind in ihren jeweiligen Wahrnehmungs- und Kommunikationsstrukturen gefangen.

Gehen Sie nun bitte zurück in den Raum vor dem kleinen Videokabinett. Bitte seien Sie hier etwas vorsichtig, da gleich links von Ihnen eine Installation im Raum steht. Sie ist eine von mehreren Arbeiten der in New York lebenden Künstlerin Katie Holten, die wir hier zeigen. Der aus Holz, Pappe und Draht konstruierte Black Tree, also scharze Baum, ist mit schwarzem Gaffertape umwickelt und 2005 entstanden.

Außerdem hängen an der rechten Wand vier Rahmen, die zarte Tintenzeichnungen der Künstlerin präsentieren: Das Tree Alphabet von 2015. Holten entwickelt in dieser Arbeit ein eigenes Alphabet: Für jeden Buchstaben des lateinischen Alphabets erschafft sie ein Bildzeichen, bestehend aus der Zeichnung eines Baums, dessen Namen mit dem zugehörigen Buchstaben beginnt. Was zunächst wie die Entwicklung einer kryptischen Individualsprache anmutet, hat eine historische Tradition: In Irland existierte im Mittelalter das so genannte Ogham-Alphabet, welches in Stein gekratzt wurde und ebenfalls aus Baumzeichen besteht. Mit ihrer eigenen Variante eines Baumalphabets, übersetzt Katie Holten ganze Bücher in diese Bildsprache. Die 1975 geborene Irin ist fasziniert von Sprache, Wissenssystemen und dem Verhältnis von Mensch und Natur. In ihren Zeichnungen, Skulpturen, Rauminstallationen und Büchern untersucht sie so u.a. unser Verhältnis zur Umwelt – ein hochaktuelles Statement in einer Zeit, die von Geologen als Anthropozän bezeichnet wird, weil der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.

Um Ihnen die Arbeit plastischer zu machen, finden Sie zum Baumalphabet von Katie Holten eine Taststation: hier können Sie beispielhaft Buchstaben erspüren. Ein lateinischer Buchstabe wird mit einem Baum als Buchstabenzeichen übersetzt und ergänzt durch den zugehörigen Buchstaben in Brailleschrift.

Außerdem finden Sie im anschließenden Kabinett weitere Zeichnungen der Künstlerin, das Stone Alphabet von 2016/17, in dem sie ihre Grundidee variiert.

Wenden Sie sich nun weiter in den nächsten Raum, erwarten Sie hier mehrere großformatige Arbeiten der in London lebenden Janice Kerbel. Die Arbeit Score aus dem Jahr 2015 besteht aus neun Schwarz-Weiß-Siebdrucken, die wie Plakate ungerahmt an den Wänden hängen und jeweils aus mehreren Einzelblättern zusammengesetzt sind. Sie sind jeweils 84 x 50 cm groß und mit teils auf das nächste Blatt übergreifenden großen und kleinen Buchstabenformaten bedruckt. Diese Textarbeiten wirken wie eine musikalische Partitur mittels Typographie: die Buchstaben bilden dynamische Schwünge und Wellen, die mal größer, mal kleiner werden. Die eigenwillige Form, Größe, Dynamik und Überlagerung der schwarzen Buchstaben verlangsamt und erschwert den Leseprozess. Zugleich veranschaulicht die visuelle Erscheinung des Textes – beispielsweise durch die Formung eines Textkörpers – eine Erzählung in mehreren Kapiteln. Einem Figurengedicht (Kalligramm) nicht unähnlich, erfahren wir von verschiedenen Formen von Unfällen: Ertrinken, Ausrutschen, Blitzschlag, Bärenangriff, ein Erschlagenwerden von einem vom Himmel fallenden Objekt usw. Kerbel, die 1969 geboren wurde und aus Kanada stammt, setzt mit ihren Arbeiten genau an dem Punkt an, an dem Buchstaben zwar gelesen und Worte entziffert werden können, ihrer bildhaften Qualität jedoch nicht minder große Bedeutung zukommt. Ein Wechselspiel zwischen dem Prozess des Lesens und dem des Schauens beginnt.

Gehen Sie nun bitte in den nächsten Raum. Der Buchstabenzirkus aus dem Jahr 1979 von Michael Bauch treibt hier sein Spiel: Auf einer leuchtend roten Turnmatte aus Plastikplanen scheinen farbige Metallbuchstaben auf Gerüsten zu turnen: »S« und »T« haben bereits die Sprossen erklommen. »A« steht kopfüber und »C« schlägt eine Brücke. Das »Mr« gleicht einem durch die Manege wandernden Kamel und das alleinstehende große »R« dem tonangebenden Zirkusdirektor. In der 190 x 350 x 290 cm großen Installation machen sich die Buchstaben selbstständig. Nicht einmal einen Wortsinn lassen sie sich mehr entlocken. Sie haben sich selbst zweckentfremdet. Der 1951 geborene Michael Bauch hat sie an der Baustelle von Mr. Wash und einem Schreibwarengeschäft gefunden. Die tradierte Hierarchie zwischen Schrift und Bild wird zugunsten eines verspielten Miteinanders von Geschriebenem und Bildhaftem außer Kraft gesetzt.

Im anschließenden Raum zeigt Michael Sailstorfer seine Arbeit U6, 14° 34' 79,0" N / 60° 50' 69,6'' W. Dabei handelt es sich um eine Diaprojektion auf der Stirnwand, die diverse Buchstabenskulpturen unter Wasser zeigt. Hierfür hat er 2007 sämtliche Buchstaben unseres Alphabets aus Styropor hergestellt und an einer Betonplatte befestigt, um sie im Meer zu versenken. Den eigentlichen Skulpturenpark enthält er uns damit vor. Wir sehen ihn nur in den Reproduktionen der Dias und nur theoretisch ist er anhand der im Titel angegebenen Koordinaten zu finden. In der Diaprojektion sind die Skulpturen in alphabetischer Abfolge zu sehen und werden nur als Imaginationsräume in den Köpfen des Betrachters plastisch. Die Buchstaben scheinen im Wasser zu schweben. Das Licht bricht sich darin und erzeugt eine eigentümliche und ungewohnte Farbigkeit in hellen Farbtönen. Die leicht getrübte Sicht der Unterwasserwelt eröffnet Leerstellen und beflügelt damit die Phantasie weit über das Erkennen des Alphabets hinaus. Der 1979 geborene Sailstorfer schafft ungewöhnliche Skulpturen indem er versucht, die vielfältigen Dimensionen seiner Objekte spielerisch stets neu zu denken. So wird die räumliche Komponente manchmal durch Licht, Geräusch oder Geruch ersetzt oder erweitert.

Wenn Sie die Diaprojektion hinter sich lassen, kommen Sie in einen schmalen Gang, in dem eine Arbeit des US-Amerikaners Richard Artschwager gezeigt wird. Ein überdimensioniertes Ausrufezeichen aus Holz, bemalt mit Acrylfarbe in Abstufungen von weiß über grau bis schwarz, hängt übereck gleich rechts in dieser Passage über Ihrem Kopf. Der von 1923 bis 2013 lebende Artschwager kombinierte in seinen Arbeiten Elemente aus zahlreichen Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts – Konzeptkunst, Pop Art und Minimal Art – zu einer eigenwilligen Formensprache. Er beschäftigte sich mit der Wahrnehmung von (sozialem) Raum und sah Sprache als räumliches Gebilde. Die Satzzeichen als Grundelement einer Sprache interessierten ihn dabei besonders. Mit einer eigenen Werkserie untersuchte er, was geschieht, wenn Satzzeichen aus ihrem Kontext herausgelöst werden. In der Arbeit Corner Exclamation von 1993 trennte er das Ausrufezeichen von seiner Betonungsfunktion im Satz und seinem dramatisierenden Einfluss auf einen Text. Nun hängt es als stummes Objekt in der Ecke des Raumes, und kommentiert seine neue Umgebung.

Wenn Sie nun nach links weitergehen und den schmalen Gang verlassen, gelangen Sie zu den Arbeiten des belgischen Künstlers Philippe Vandenberg, in dessen umfangreichem und vielfältigem Werk Sprache eine große Rolle spielt. 88 großformatige Zeichnungen von je 85 x 100 cm sind hier Stoß an Stoß an die Wand gepinnt und ergeben ein monumentales Panorama wiederkehrender Satzfetzen in englischer und französischer Sprache: »Kill the dog today«, »Massacrerai« usw. Ekstatische Aufrufe zum Mord? Nicht im Sinne eines fortlaufenden Textes, vielmehr in Form von Satzfetzen, Wörtern und farbig hervorgehobenen einzelnen Buchstaben. Die vibrierende, über das ganze Blattformat springende und zunächst kindlich anmutende Handschrift wirkt unruhig und emotional getrieben. Die Worte sind in Großbuchstaben und in verschiedenen Farben wie Rot oder Blau auf die Blätter geschrieben. Sie erinnern an hektisch auf Wände geschriebene Parolen oder Graffitis, wie man sie aus dem öffentlichen Raum kennt.

Die Zeichnungen entstanden von 2005 bis 2008 unter dem Eindruck der extremen Reaktionen auf die Veröffentlichung der Satanischen Verse (1988) des Autors Salman Rushdie. Der iranische Staatschef Ayatollah Khomeini hatte Rushdie mittels einer Fatwa zum Tode verurteilt und die Muslime in aller Welt zur Vollstreckung aufgerufen. Der Hund (»dog«), der getötet werden soll, ist der Künstler, der für seine Kunst mit dem Tod bestraft werden soll. Vandenberg, der von 1952 bis 2009 lebte, zeichnet so ein überwältigendes Sittenporträt einer Gesellschaft, getrieben von Hass und Mordgelüsten, jenseits aller Gesetze oder menschlicher »Beißhemmung«.

Um zur Klanginstallation ASDFGHJKLÖ des Spaniers Ignacio Uriarte aus dem Jahr 2011 zu gelangen, müssen Sie nun weiter gehen und sich im nächsten Bereich durch eine der beiden Türöffnungen nach links wenden. Auch hier können Sie wieder eine der ausliegenden passiven Induktionsschleife nutzen, um die Arbeit besser verstehen zu können.

Aus den kleinen Lautsprechern auf dem Boden, die sich an der Stirnseite des dunkel gestrichenen Raumes links und rechts in den jeweiligen Ecken befinden, ertönt die Stimme vom Lead-Sänger der Gruppe Einstürzende Neubauten Blixa Bargeld. 33 min. lang rezitiert und interpretiert er variantenreich die Buchstabenfolge ASDFGHJKLÖ – von sachlich-didaktisch über melodiös bis hin zu albern-übersteigert. Trotz Unterschieden in Rhythmus, Tempo und Betonung wirkt die Klanginstallation in ihrer Wiederholung beruhigend und regt dabei zum Nachdenken an. Zwischen den beiden Lautsprechern hängt ein hochformatiger Offsetdruck. Auch auf ihm prangt in schwarzer Schrift auf weißem Grund die genannte Buchstabenfolge. Woher aber kennt man die?

Es handelt sich um die mittlere Reihe einer deutschen Schreibmaschinen-Tastatur, bei der ursprünglich mechanische Gründe die Reihenfolge vorgaben, damit sich die Typenhebel der häufiger verwendeten Buchstaben nicht verfangen. Auch im digitalen Zeitalter bestimmen die antrainierten Fingerbewegungen die Buchstabenfolge.

Der 1972 geborene Ignacio Uriarte nutzt häufig Versatzstücke aus der Welt des Büroalltags, um sie im Kunstkontext umzudeuten und automatisierte und optimierte Gewohnheiten aufzudecken.

Wenn Sie durch die Türöffnungen wieder zurück in den Gang treten und sich nach links wenden, erwarten Sie im nächsten Raum die Wandmalereien Brico von Friederike Feldmann, die sie für diese Ausstellung direkt auf die Wände der Galerie der Gegenwart gemalt hat.

Diese Werke der 1962 geborenen Künstlerin, die wie Notizen für den Moment mit dem Besucher Kontakt aufnehmen, wirken äußerst ephemer. Am Ende der Ausstellung werden sie wieder überstrichen werden und damit verschwinden.

Mal sind die Worte in Schwarz auf hellem Grund auf die Flächen gesetzt, mal in weißer Schrift auf Schwarz. Sie ziehen sich als große, unleserliche Handschriften über die Wände. Man versucht die Nachricht zu entziffern, den Inhalt zu lesen und wird zurückgeworfen auf Striche, Linien, Kurven. Feldmann malt Schrift. Doch ist diese Schrift nicht an Lesbarkeit gebunden. Die Loslösung vom Inhalt fördert das bloße Sehen, unter dem das Gestische hervortritt. Anders als im abstrakten Expressionismus ist dieses Gestische jedoch nicht an Spontanität gekoppelt. Minutiös arbeitet Feldmann an dem Entwurf, bearbeitet ihn am Computer weiter. Er wird gedoppelt, gestückelt, komponiert, um die Malerei nach dem aufwendigen Prozess auf die Wand zu übertragen. Die Langwierigkeit der Entstehung ist den Skripturen eingeschrieben. Sie zeigt sich in dem Fließenden, mal Stockenden, dann wieder Gleitenden, usf.

Neben den Wandmalereien in der Ausstellung hat Friederike Feldmann außerdem ein haushohes Banner gestaltet, dass sich an der Außenseite der Galerie der Gegenwart findet und mit der Ästhetik der Werbung spielt und diese hinterfragt.

Im nun folgenden vorletzten Raum dieser Etage finden Sie eine knapp sechsminütige Videoarbeit Erotisme der Künstlerin Rivane Neuenschwander, für die Sie eine der ausliegenden passiven Induktionsschleife nutzen können.

Groß im Bild zu sehen, sind die Gesten einer Hand. In Erotisme untersucht die 1967 geborene Brasilianerin die Kommunikation per Handzeichen. In einer surrealistischen Enzyklopädie von 1947 »Le memento Universal Da Costa« dient eine Tafel der American Sign Language, der offiziellen amerikanischen Gebärdensprache, dazu, den Eintrag zum Begriff »Erotik« in frivoler Weise zu illustrieren. In ihrem Video greift Rivane Neuenschwander auf dieses Alphabet der amerikanischen Gebärdensprache zurück und inszeniert die Gesten in monumentalen, eleganten schwarz/weiß-Bildern. Die sinnlichen Bewegungen werden von einem zweiten Händepaar aufgenommen, das als bloßer Schatten zu sehen ist. Farbige Zwischenbilder unterbrechen dieses Ritual und zeigen kritzelig notierte Beispielwörter mit dem Anfangsbuchstaben, der vom vorangegangenen Handzeichen dargestellt wurde. Die teils eindeutig, teils mehrdeutig sexuell konnotierten Begriffe stehen dem sanften Spiel der Hände gegenüber.

 

In dem nun folgenden Gang finden Sie die Arbeit The perfect abbreviation for death des Schweden Karl Larsson aus dem Jahr 2014. Mit schwarzer Ölfarbe hat er das „th“ auf die weiße Leinwand gemalt. Diese Buchstabenkombination kennzeichnet im englischen einen bestimmten Laut, der allerdings nahezu unaussprechlich ist, wenn er für sich steht. So unaussprechlich und undefiniert vielleicht wie ein letzter lebensresümierender Todesseufzer, über den der 1977 geborene Künstler vermutet, dass ein solcher vielleicht mehr über eine letzte Bestimmung sagen kann als Gedichte. Gleiches Potenzial sieht er im »th«, das für ihn – wie der Titel sagt – die perfekte Abkürzung für den Tod (im englischen „death“) ist. Das Bild, das entsteht, wenn Larsson »t« und »h« auf die weiße Leinwand malt, zeigt sich ansteigend bis zur Spitze vom »h«, danach, nach einem kurzen bogenartigen Aufschwingen des „hs“, abfallend und am Boden im Nichts endend. Kursiv bewegt sich die Buchstabenkombination von links nach rechts, läuft unausweichlich auf das Ende zu. Ein Bild vom Tod?

Karl Larsson bewegt sich als Künstler, Dichter und Herausgeber an den Grenzen von Schrift und Sprache, Poesie und Installation und verwebt in seiner Kunst die verschiedenen Ausdrucksformen.

Treten Sie nun aus dem schmalen Gang hinaus, befinden Sie sich wieder in der Leseecke vom Beginn dieses Rundgangs. Wenden Sie sich nach rechts gelangen Sie zum Treppenhaus und zum Fahrstuhl. Wenn Sie nun Ihren Ausstellungsbesuch in der 2. Etage fortsetzen möchten, nutzen Sie bitte den Fahrstuhl, um zum Anfang des nächsten Ausstellungsbereichs zu kommen.

Ende 3. Obergeschoß