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James Ensor

Radierungen

Die kunsthistorische Bedeutung von James Ensor, dem Wegbereiter und großen Außenseiter der Moderne, ist heute unbestritten. Seine vielfältigen Radierungen mit meist phantastischen und auch makabren Motiven wirken noch heute zeitlos. Die meisten seiner Drucke entstanden in der relativ kurzen Zeitspanne zwischen 1885 und 1888, allein in letzterem Jahr 45 radierte Kupferplatten. In den 1890er Jahren folgten weitere Blätter, 1904 hörte er ganz mit dieser Technik auf. Ensors Graphiken bilden einen der Schwerpunkte innerhalb der Sammlung Hegewisch. Die Kabinett-Ausstellung zeigt eine Auswahl von ca. 40 Radierungen des belgischen Künstlers aus dieser Sammlung und aus den Beständen des Kupferstichkabinetts.

Ensor ging mit der Radiernadel dieselben vielfältigen Motive an, die er auch in seinen zahlreichen Zeichnungen und seinen Gemälden behandelte. Die Druckgraphiken waren oft Ausgangspunkt oder auch Ergebnis von Gemälden, obwohl sie manchmal in großer zeitlicher Distanz entstanden. Die Ausstellung präsentiert deshalb aus der Sammlung Hegewisch auch drei Zeichnungen des Künstlers, u.a. eine direkte Studie für die Radierung »Der Abschied Napoleons«. Ein gutes Beispiel für die zeitlich versetzte Entstehung ist auch die Radierung »Einzug Christi in Brüssel«, die drei Jahre nach dem berühmten Gemälde von 1888 entstand und die das Thema nochmals in neuer, freier Form wiederholte, ohne es zu kopieren.

Seltsame Szenen, furcheinflößende Masken und burleske Visionen bannte Ensor in seinen Werken mit meist unversöhnlicher und heftiger Ironie ins Bild. Es tummeln sich auf seinen Radierungen, außer dem ewig geschmähten und durchaus auch blasphemisch verhöhnten Erlöser sowie dem Tod in allerlei Verkleidungen, Dämonen, Teufel, Skelette, Hexen und Hexenmeister sowie eine Vielzahl von nicht leicht zu erklärenden oder gar eindeutig zu benennenden, furchterregenden Wesen, die oft unerklärliche Handlungen befremdlichster Art vollziehen. Diese weithin bekannten, zum Teil der Karikatur nahestehenden Bilderzählungen nehmen in dieser Ausstellung den breitesten Raum ein. Sie dürfen aber nicht vergessen lassen, dass Ensor auch mehr als 40 subtile und leidenschaftlich erfasste, kleinformatige Landschaftsradierungen geschaffen hat. Diese Landschaften stammen alle aus seiner unmittelbaren Umgebung in Ostende und Brüssel, denn er blieb seiner Heimat sein ganzes Leben lang treu und bildeten eine vollkommene und ideale Gegenwelt, um der grausamen, niederträchtigen und grotesken Welt der Menschen zu entfliehen.

Ensors in zeitgenössische Kleider gehüllten Motive entstammen eigentlich einer finsteren, unaufgeklärten Zeit, die auch schon die Bildwelten eines Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel, Jacques Callot oder Baldung Grien bevölkerten. Trotz dieser scheinbaren ikonographischen Rückwärtsgewandtheit, weist er dennoch eher in die sich andeutende Moderne voraus.