Archiv

Das Vertraute Unbekannte

Friedrich Einhoff in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle

Anlässlich einer umfangreichen Schenkung widmet die Kunsthalle dem kürzlich verstorbenen Hamburger Künstler Friedrich Einhoff (1936-2018) eine erlesene Werkpräsentation, die einen Überblick über sein reiches Schaffen zeigt. Einhoff gehört seit den 1960er Jahren als Maler und Zeichner sowie als prägender Lehrer jüngerer Künstler_innen an der Hochschule für angewandte Wissenschaften zu den wichtigen Persönlichkeiten der Kunstszene in Hamburg. Seine Werke in verschiedensten künstlerischen Techniken kreisen stets um das Bild des Menschen mit seinem ambivalenten und fragilen Wesen. Seine Figuren treten einzeln oder als Gruppen auf, ihre verfremdeten Gesichter verschmelzen mit der Umgebung.

Die Hamburger Kunsthalle hatte das Glück aus Einhoffs Atelier eine repräsentative Auswahl von über 50 wichtigen Werken auswählen zu dürfen. Diese Zeichnungen kamen mit privater Unterstützung in die Sammlung des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle, wo sie ein dort bereits vorhandenes Konvolut früher Zeichnungen Einhoffs ergänzen und sich nun ein Bestand von mehr als 70 Werken aus allen Schaffensjahren des Künstlers befindet. Die Schenkung wird durch einen Bestandskatalog dokumentiert (Verlag Kerber, deutsch/englisch), der im Museumsshop zum Preis von 25 Euro erhältlich ist.

Themen der Ausstellung

Figuren und Orte

In seinen frühen Werken stellt Friedrich Einhoff einzelne Figuren oder Gruppen während medizinischer Anwendungen und in Schwimmbecken dar. Es sind kompakte, teils schemenhafte Körper zu sehen, die im Moment des Badens und unter der Dusche stehend gezeigt werden. Die Interieurs sind nüchtern und kühl, auf wenige Details reduziert. Die Figuren verbinden sich mit dem sie umgebenden Wasser und wirken darin gefangen. Einhoff äußert in diesen bedrohlich-wirkenden Szenen subtile Kritik an staatlichen Institutionen, wie Heilanstalten, die in seinen Bildern als Orte der Einsamkeit und Beklemmung dargestellt sind. Die Motive legen nahe, dass an diesen Orten keine Fürsorge oder Heilung zu erwarten ist.

Figur und Objekt

Spielerisch sind die Figuren mit verschiedenen Gegenständen versehen, die sich mit ihren Körpern prothesenhaft verbinden. Eine Figur bekommt Flügel, ohne dass sie damit abhebt, und andere erhalten einen Stock als Verlängerung ihrer Arme, verbinden sich damit und werden zur Stockfigur. Mal ist es ein Schlauch, der am Mund befestigt ist oder ein Korsett, das den Körper stützt. Es wird deutlich, dass der Mensch auf Hilfe angewiesen ist und sich die Dingwelt zu Nutze macht. Einhoff deutet mit leisem Humor eine Ambivalenz an, die sich aus der Mensch-Objekt-Beziehung ergibt: Medizinische Geräte gleichen Defizite des menschlichen Körpers aus, aber gleichzeitig stiften sie ein Abhängigkeitsverhältnis, so dass der Mensch sich am Ende den Dingen unterwirft und beispielsweise zur Stockfigur wird. 

Figurengruppen

Die gruppierten, unkenntlich-gemachten Figuren verschwimmen zur Masse. Sie schauen in eine Richtung, wie bei der Schulklasse, die frontal ins Bild gesetzt ist, oder in der Pose eines Gruppenfotos. Die angedeuteten Körper berühren sich. Es scheint, als würde sie nichts voneinander trennen. Weder Mimik noch Gestik geben Auskunft über Identität oder Emotion des Einzelnen. Das Individuum fügt sich als einzelnes Element in die anonyme Gruppe ein. Einhoffs Figurengruppen vermitteln den Eindruck einer Gemeinschaft, die eng zusammensteht. Zugleich treten die Figuren nicht in Interaktion miteinander. Der Einzelne bleibt als gesichtsloses Schattenwesen mit sich in der Gruppe allein.

Momente der Auflösung

Die Figur in der Landschaft, ob badend in einem See oder knietief im Erdreich versunken, verbindet sich in Einhoffs Bildern mit den Naturelementen. Die Umrisslinien der Figuren verlieren sich, die Körper sind von ihrer Umgebung nicht unterscheidbar. Sie bleiben präsent als Spur, wie ein ausgeblichenes Negativ oder unscharfes Foto. Das Landschaftsmotiv ist unbestimmt. Indem Formen und Farben ineinander übergehen, lösen sich die Figuren in den Elementen Wasser und Erde auf. Die Figuren sind von Erde bedeckt, die auf der Farbe aufliegt, und werden von ihr begraben. Der Kreislauf des Lebens schließt sich. Einhoff stellt das Menschsein in den Kontext der Naturelemente, indem Wasser und Erde eine wichtige Rolle in seinen Bildern spielen. In diesen Motiven wird die Vergänglichkeit des Lebens thematisiert.

Verfremdung

Einhoff bediente sich verschiedener Verfahren, um die menschliche Gestalt zu verfremden. Er übermalte Figurengruppen mit einzelnen Pinselstrichen in heller und dunkler Farbe, um sie unkenntlich zu machen. Die Köpfe sind nur schattenhaft angedeutet und das Gruppenbild gleicht einer unterbelichteten Fotografie, die mit hellen Farbakzenten versehen wurde. Einhoff arbeitete parallel in der Fotografie mit Über- und Unterbelichtungen, so dass die Gesichter der Posierenden nicht zu erkennen sind. Ein anderer Verfremdungseffekt sind die einzelnen Köpfe in Einhoffs Zeichnungen. Es sind gesichtslose Köpfe oder sie bleiben fragmentarisch, sie bilden keine Physiognomien ab. Einhoffs Köpfe sind eine Absage an die Porträtmalerei und wirken wie ein Gegenentwurf dazu. Die Umrisslinien der Köpfe stehen im Kontrast zu ihrer gesichtslosen Leere und betonen das Vakuum. Der Kopf als Gefäß wird gefüllt von abstrakten Ideen und Gedanken. Einhoffs Köpfe symbolisieren auf diese Weise materielle Leere und immaterielle Fülle zugleich.